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Recensione: Michael Kleiner, Saul in En-Dor Wahrsagung oder Totenbeschwörung? Eine synchrone und diachrone Analyse von 1 Sam 28,3-25

 
 
 
Foto Volgger David , Recensione: Michael Kleiner, Saul in En-Dor Wahrsagung oder Totenbeschwörung? Eine synchrone und diachrone Analyse von 1 Sam 28,3-25 , in Antonianum, 74/1 (1999) p. 159-162 .

Mit der Untersuchung zu 1 Sam 28,3-25, die als 66. Band in der Reihe `Erfurter Theologische Studien´ erschienen ist, hat sich M. Kleiner in seiner Dissertation einer anspruchsvollen und komplexen Thematik alttestamentlicher Exegese gewidmet. Das Verhältnis von Jenseits bzw. Welt der Toten und Diesseits bzw. Welt der Lebenden gehört zu einem vieldiskutierten, nicht wenig umstrittenen Diskussionspunkt alttestamentlicher Wissenschaft. Von daher gebührt dem Autor vollste Aufmerksamkeit, wenn er von neuem dieses `heiße´ Eisen anhand einer einschlägigen Textstudie angeht. In einer kurzen Darstellung zu Problemlage und Fragestellung (S. 1-4) skizziert d.A. die Problematik des Textes 1 Sam 28,3-25. Zunächst verwundert den heutigen Bibelleser die Tatsache, daß sich Samuel auf die Totenbeschwörung überhaupt eingelassen hat. Gesetzestexte wie Dtn 18,11 verbieten gerade jegliche Hinwendung zu Toten. Damit nicht genug, die Totenbeschwörung hat wider Erwarten Erfolg und wird zum Ort göttlicher Offenbarung. Neben semantischen Anfragen an das Vokabular bezüglich der Totenbeschwörer und der Totengeister weist d. A. noch auf die Problematik von v. 12 hin: Nachdem nämlich Saul der Frau von En-Dor befohlen hatte, Samuel erscheinen zu lassen, tritt Samuel auf einmal selbst in Erscheinung, ohne daß irgendwelche magisch-mantische Praktiken erwähnt werden. Welches Interesse verbirgt sich in dieser Textgestaltung? Unklar ist auch die Rolle der Frau von En-Dor. Nicht nur als Wahrsagerin, sondern auch als Totenbeschwörerin soll sie in Aktion treten (v. 8). Diese und ähnliche Fragen fordern geradezu die ausführliche Untersuchung des Textes 1 Sam 28,3-25 heraus.

Im zweiten Teil der Arbeit werden Umfang und Textgestalt (S. 6-22) geklärt. Die Abgrenzung der Texteinheit bereitet keine Schwierigkeiten, ist doch die thematische Einheit 1 Sam 28,3-25 sogleich aus dem Kontext ersichtlich. Einige textkritisch schwierige Phrasen werden mit den üblichen Argumentationsmitteln der Textkritik einer möglichen Lesung zugeführt. Nach einer ersten, vagen Gesamtanalyse des Textes (Ortsangaben, Zeitangaben, Personen, Wortschatz, Aufforderung und Ausführung, Rede und Handlung - S. 23-26) widmet sich d. A. ausführlich den im Text vorkommenden Ausdrücken zur Divination und Evokation (S. 27-135). Die hebr. Ausdrücke `fragen´, `suchen bzw. fragen´, `antworten´, `Träume´, `Lose´, `Propheten´, `wahrsagen, weissagen´, `heraufkommen lassen´, `rufen´, `Götter´ werden berücksichtigt, wobei die Untersuchung zu êÑÐ und ÝÙàâÓÙ das `Herzstück´ der semantischen Einzelanalyse darstellt. Dabei kommt d. A. zum Ergebnis, daß ÝÙàâÓÙ als Epitheton die Phrase êÑÐ präzisiert: `die überaus Wissenden´. Die Phrase ÑÕÐ ( > êÑÐ) selbst weise hingegen drei Bedeutungen auf: `Totengeist´ (1 Sam 28,7bf.8f); `Ahnenkultbild´ (1 Sam 28,3d) und `Totenbeschwörer´ (1 Sam 28,9d). Die semantischen Untersuchungen beziehen dabei relevante alttestamentlichen Texte in umfassender Weise mit ein. Auch die einschlägige Sekundärliteratur erfährt in diesem Abschnitt eine differenzierte Beurteilung, so daß z.B. die weithin vertretene These, ÑÕÐ bedeute `(Toten-)Grube´, abgelehnt werden kann.

Im weiteren Verlauf der Untersuchung, die von der Methodenlehre W. Eggers (1987) beeinflußt ist, kommt der Gesamttext noch einmal in Sicht. Sinnlinien und Oppositionen, Wortfelder wie `Krieg´, `Stärkung´, `Tod und Todesfurcht´ finden in der Textsemantik ihre Berücksichtigung (S. 136-153). In der narrativen Analyse werden vier Abschnitte der Erzählung 1 Sam 28, 3-25 ausfindig gemacht: Die vv. 3-6 verdeutlichen die Ausgangslage Sauls unter bedrohlichen Vorzeichen; die vv. 7-14 schildern Sauls Durchbruchsversuch auf Wegen verbotener Mantik; die vv. 15-19 entfalten das Thema `Saul unter Samuels Unheilsbotschaft´; die vv. 22-25 runden die Erzählung mit `Sauls Wiederherstellung durch die Bemühung der Frau´ ab.

Im letzten Abschnitt der Dissertation begründert d. A. seine diachrone Einschätzung der Erzählung 1 Sam 28,3-25. Am Anfang sei eine Divinationserzählung gestanden, in der es um die Befragung eines Totengeistes ging. Noch in der mündlichen Überlieferung sei diese Divinationserzählung in eine Evokationserzählung umgeformt worden. Bei der Evokationserzählung bildet dabei die Herausrufung des Totengeistes aus der Unterwelt das zentrale Erzählmotiv. Diese beiden Elemente [vv. 7a-8f.13a-14e.hi.19b.20ab.21ab.22c-25d (S. 231)] seien in der schriftlichen Grunderzählung [vv.4-11.12c-15b1.cd.h-16c.19b-20c.21a-25 (S. 230)] präsent. Vorbehalte gegen die Totenbeschwörung, eine ablehnende Haltung gegenüber Sauls Königtum, ein Wachstum der Bedeutung Samuels für die beginnende Königszeit bildeten den Hintergrund für weitere Textänderungen. Dieses Textstadium sei dem 10./9. Jh.v. zuzuweisen. Im 6. Jh. v. habe der Deuteronomist diese Erzählung in sein Geschichtswerk durch Hinzufügung von vv. 3a-d.17-19a integriert. Einige Zusätze [vv. 12ab. 15b2.e-g.16d.20de (S. 230)] seien noch der Hand späterer dtr. Theologen zuzuschreiben. Dadurch gelingt es dem Autor, eine Antwort auf das frühe Erscheinen Samuels in v. 12ab zu finden. Den späten dtr. Theologen wäre es nämlich unerträglich gewesen, Samuel in der Macht der Totenbeschwörerin zu sehen. Samuel wird demzufolge nicht von der Frau aus En-Dor zum Erscheinen gezwungen, er tritt Saul vielmehr aus eigener Initiative entgegen.

An diesem Punkt der Präsentation der Dissertation von M. Kleiner möchte ich mit einigen kritischen Überlegungen beginnen, die keineswegs den Wert der verdienstvollen Untersuchung schmällern sollen. Kleiner geht davon aus, daß der Textverlauf durch v. 12ab gestört wird, Samuel erschiene zu früh. Diese Störung, die synchron nicht verständlich gemacht werden könne, sei nur aus der diachronen Entstehung des Textes verstehbar. Theologen einer späteren Zeit hätten v. 12ab eingefügt, um die Souveränität des YHWH-Propheten Samuel gegenüber der Totenbeschwörerin von En-Dor zu unterstreichen. Diese Interpretation beruht auf zahlreichen Vorannahmen, die kaum aus dem Kontext erschlossen werden können. Zunächst ist fraglich, ob der Name Samuel in v 12a tatsächlich zu früh vorkommt. Denn ohne Zweifel wird in v. 12a nicht aus der Erkenntnisperspektive der Frau von En-Dor formuliert, als ob sie persönlich sofort gewußt hätte, daß es sich um Samuel handelt, sondern aus der Perspektive des `auktorialen´ Erzählers, der um die Zusammenhänge der Gesamterzählung weiß und daher schon in v. 12 von Samuel sprechen kann. Dadurch wird natürlich der Leser in das Wissen des Erzählers miteinbezogen. Der Leser weiß zu diesem Punkt mehr als die Personen der Erzählung, Saul und die Frau von En-Dor. - Oder verbirgt sich in der Darstellung vv.12-14 folgende Erzählstragie: Die Frau von En-Dor, die tatsächlich Samuel aus der Totenwelt heraufsteigen sieht, erkennt zugleich noch ein zweites: Der Mann, der sie um den Zugang zum toten Samuel gebeten hat, ist Saul, der jegliche Totenbefragung verboten hat. Die betrogene Frau von En-Dor verbirgt nun auch dem Saul, daß sie Samuel erkannt hat. Schrittweise wird nun Saul dahin geführt, daß er selbst den Totengeist erkennt und mit ihm in Verbindung treten kann. Dadurch macht sich Saul den eigenen Anordnungen zufolge schuldig. Saul nimmt aktiv an der `Totenbeschwörung´ teil. Diese oder ähnliche Überlegungen müßten in Erwägung gezogen werden, bevor man sich zu einer diachronen Erklärung entschließt. Und dann bliebe immer noch unklar, warum der Eingriff in den Text nicht diese oder ähnliche Verständnisprobleme ausgeräumt habe.

Wenn d. A. von zwei mündlichen Vorstufen, nämlich einer Divinations- und Evokationserzählung, spricht, ist er sich der Problematik dieses Vorgehens bewußt. Zudem ist zu fragen, ob Divination und Evokation, zwei metasprachliche Klassifizierungshilfen, der Sache nach tatsächlich zwei grundlegend unterschiedliche `Bereiche´ bezeichnen (S. 185). Das Verb ÔÜâ `hinaufsteigen´ impliziert zwar eine räumliche Bewegung des `Toten´  von der Unterwelt herauf in die Nähe der Personen, die mit dem Toten sprechen wollen. Doch dies gilt wohl auch implizit für die Divination (durch einen Totengeist), die als Oberbegriff verstanden wird, „der als das gemeinsame Dach alle Bemühungen des Menschen, Kunde vom Kommenden zu erlangen, unter sich vereint“ (S. 27). Divination als Oberbegriff verstanden umfaßt demzufolge wohl die Evokation, die ja auch daraufhin angelegt ist, durch den Toten mit dem `jenseitigen´ Reich in Verbindung zu treten. Es bleibt auch unklar, welche Rolle eine `Totenbeschwörerin´ bei der Befragung des evoziierten Totengeistes spielt. Nach 1 Sam 28,15-19 ist wohl kaum von vornherein auszuschließen, daß die Frau von En-Dor bei der Orakelbefragung prinzipiell keine Funktion mehr besitzt (S. 185). Wenn nun aber Divination bzw. Wahrsagung (mit Hilfe eines Totengeistes) und Evokation bzw. Totenbeschwörung keine absoluten Gegensätze darstellen, bleibt eine diachrone bzw. synchrone Differenzierung mit Hilfe dieser Einteilungskriterien fraglich.

Ohne Zweifel muß eine diachrone Einschätzung von 1 Sam 28,3-25 auf dem Hintergrund historisch nachprüfbarer Entwicklungen geschehen. Dazu reichen die knappen historischen Überlegungen auf Seite 208-210 wohl kaum aus. Viele Anfragen an die Geschichtlichkeit der Darstellung von 1.2 Sam, die in den letzten Jahren aufgetreten sind, müßten zumindest berücksichtigt werden. Vielleicht könnte ein bewußterer Umgang mit Rekonstruktionen der Geschichte Israels, Judas zur Königszeit auch der literarischen Analyse verstärkt behilflich sein.

Wenn d. A. davon ausgeht, daß zu einer bestimmten Zeit die nekromantische Praktik der Wahrsagung mittels eines Totengeistes bzw. die Evokation eines Totengeistes unbedenklich war, später jedoch verboten wurde, so wäre von Interesse zu erfahren, wann und warum sich die veränderte Einschätzung dieser Phänomene eingestellt habe. Hat Israel seine Verbindung zu den Toten reduziert oder vielleicht sogar beseitigt? Hat YHWH durch seine Gesetze den Zugang zu den Toten verschlossen? Warum erinnert sich dann Israel, daß der tote Samuel - in seiner Totenruhe aufgescheucht - eine Botschaft für den noch lebenden Saul bereit hatte? Warum kann Saul das Gesetz YHWHs, Tote nicht zu befragen, brechen und dabei doch `Erfolg´ haben? Diese und ähnliche Fragen bleiben dem Rezensenten nach der Lektüre nicht nur dieser Untersuchung zu 1 Sam 28,3-25.

M. Kleiner ist es jedoch gelungen, in umfassender Weise das semantische Inventar divinatorischer Praxis zu verdeutlichen, den Text 1 Sam 28,3-25 innerhalb den methodischen Voraussetzungen wissenschaftlich auszulegen und dies alles in einer gut verständlichen und ansprechenden Weise.

 



 
 
 
 
 
 
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