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Recensione: GABRIELE STORK, Der Kirchenanwalt im kanonischen Recht

 
 
 
Foto Schöch Nikolaus , Recensione: GABRIELE STORK, Der Kirchenanwalt im kanonischen Recht , in Antonianum, 74/3 (1999) p. 564-567 .

Die Autorin, selbst Kirchenanwältin und Ehebandverteidigerin am Erzbischöflichen Offizialat der Erzdiözese Paderborn, legt ihre unter der Leitung des inzwischen verstorbenen Prof. DDr. Winfried Schulz erarbeitete und bei Prof. Dr. Libero Gerosa zu Ende geführte Dissertation vor. Sie ist einem vernachlässigten Teil des Prozeßrechts gewidmet: dem Amt des Kirchenanwalts, dessen Rolle in der jüngsten Zeit immer mehr verblaßt und der mehr der Form halber bei den einzelnen Diözesangerichten bestellt wird, ohne daß er aktiv wird.

Am Erzbischöflichen Offizialat in Paderborn erfolgte mit einer Ausnahme das letzte mit Beteiligung des Kirchenanwalts durchgeführte Verfahren im Jahr 1972. Es handelte sich um einen Strafprozeß. In der vorkonziliaren Zeit hingegen fungierte er in erster Linie als Kläger in Ehenichtigkeitsverfahren, in denen die Ehegatten gemäß der Normen des Codex Iuris Canonici von 1917 nicht klageberechtigt waren. Zum Bedeutungsverlust in der nachkonziliaren Zeit trägt zweifellos das Ausbleiben von Strafverfahren bei, die nicht nur selten sind, sondern meist auf dem Verwaltungsweg durchgeführt werden. Eine weiterer Grund liegt schließlich in der Einschränkung des Aufgabenbereichs des Kirchenanwalts durch die Gesetzgebung des CIC von 1983.

In der vorliegenden Arbeit geht es um eine systematische Darstellung der Aufgaben und der Rechtsstellung des Kirchenanwalts anhand der Gesetzgebung der lateinischen Kirche. Die streng systematisch und methodisch präzis vorgehende Autorin beginnt mit der Begriffsklärung des Titels Kirchenanwalt, zunächst in der lateinischen Rechtssprache, dann in der Darlegung der verschiedenen Übersetzungsvorschläge für den Begriff promotor iustitiae. Es folgt die zweifellos schwierige Definition des kirchlichen Gemeinwohls aufgrund der Ekklesiologie des 2. Vatikanischen Konzils. Betont wird dabei jene Bedeutung von bonum publicum, die vor allem im Kontext der christlichen Gesellschaftslehre entfaltet wurde. So findet sich eine Definition in Gaudium et spes (Art. 26): "... die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen". Diese soziale Definition des bonum publicum wird von der Autorin mit dem Schlüsselbegriff der konziliaren Ekklesiologie communio in Verbindung gebracht, welche das Formalprinzip des kirchlichen Rechts darstellt. Eugenio Corecco betrachtete nicht das bonum comune Ecclesiae als letztes Ziel der Kirche, sondern die Verwirklichung der communio.

Das so verstandene Gemeinwohl zu schützen, ist Zweck des kirchlichen Prozeß- und Strafrechts. Die Autorin wagt daher zu sagen: "Spricht das kirchliche Gesetzbuch vom 'bonum publicum', so ist theologisch ontologisch der dargestellte 'Communio' – Charakter der Kirche gemeint" (27). Daß vom Kodex nicht gleich der theologische Begriff der communio an Stelle von bonum publicum verwendet wird, wird von ihr mit der Tatsache erklärt, daß dem kirchlichen Straf- und Prozeßrecht grundsätzlich noch die Lehre von der Kirche als societas perfecta neben dem Staat zu Grunde liegt, wobei beide als öffentlich-rechtliche Personen verstanden werden. Die Autorin entschließt sich deshalb zur Beibehaltung des juristischen Begriffs des bonum publicum, weist ihm jedoch den ekklesiologischen Gehalt der communio zu.  Der Begriff des bonum publicum taucht 14 mal im geltenden Gesetzbuch der lateinischen Kirche auf. Sowohl der Bandverteidiger als auch der Kirchenanwalt stehen ganz im Zeichen des Schutzes des bonum publicum. Der Kodex von 1983 legt im can. 1434 die parteianaloge Stellung des Kirchenanwalts fest.

Auf die Darlegung der Bedeutung des bonum publicum folgt ein historischer Überblick über die Entwicklung des Amtes des Kirchenanwalts, ausgehend von dessen Entstehung unter Papst Innozenz III. (1198-1216) bis zur Promulgation des Kodex von 1917. Den Schwerpunkt der Arbeit bietet die historisch-kritische Textanalyse der einschlägigen Bestimmungen der Codices von 1917 und 1983. Dabei wurden die einzelnen Vorentwürfe zu beiden Gesetzgebungen ausführlich berücksichtigt. Tatsächlich wurden diese Schemata noch nicht in bezug auf den Kirchenanwalt analysiert, wobei die Autorin sich in bezug auf den CIC von 1917 auf das im Gefolge der Promulgation vor allem von Roberti veröffentlichte Material beschränkte. Eine Einsichtnahme in den seit 1985 freigegebenen und im Vatikanischen Geheimarchiv nunmehr zugänglichen sogenannten "Fondo Codex Iuris Canonici" wäre wünschenswert gewesen. Die Dokumente zu Fragen des Prozeßrechts werden gegenwärtig in drei Bänden von Joaquín Llobell, Enrique de León und Jesús Navarrete veröffentlicht. Der erste Band erschien 1999 und war der Autorin nicht mehr zugänglich.

Die vorliegende Arbeit stützt sich vor allem auf Francesco Roberti, der im Jahr 1940 eine Synopse veröffentlichte, welche die verschiedenen Projekte und den endgültigen Text der ersten Sektion des Buches De processibus enthält (cc. 1552-1924). Roberti hatte zum unveröffentlichten Material bereits 50 Jahre vor der Öffnung Zutritt und konnte sich dabei auf eine spezielle Erlaubnis stützen, welche Pius XI. dem Institutum utriusque iuris der Lateranuniversität gewährte. Die Öffnung des zitierten Fondo erlaubt nun eine Kritik des Werkes von Roberti, welches sich trotz der großen praktischen Bedeutung für die Erforschung des CIC von 1917 als nicht in allen Punkten zuverlässig erweist. Roberti gab die Grenzen und vor allem die Ungenauigkeit und Unvollständigkeit seines Werkes selbst zu, und bezeichnete sie als den Preis, den er zahlen mußte, um eine Synopse zu veröffentlichen, ohne die originalen Projekte vollständig bekannt zu geben. Roberti stellte nicht die reale Entwicklung des Textes im interessantesten Augenblick  dar, d.h. in jener Periode, in welcher die Entwicklung der Canones Frucht des Studiums der Commissio specialis consultorum war, von deren Versammlungen die Sitzungsprotokolle erst seit 1985 zugänglich sind. Neueste Autoren bezeichnen deshalb nach dem Studium der Original-Dokumente des Vatikanischen Geheimarchivs die Schemata von Roberti als wenig nützlich für das Verständnis der Entstehung der Normen und dies vor allem aufgrund seiner Vermischung einzelner im Archiv getrennt vorliegender Texte. Es muß allerdings zugegeben werden, daß eine Forschungsarbeit im Vatikanischen Archiv angesichts des Zeitaufwandes einer Dissertation nicht unbedingt zugemutet werden kann, obwohl die Autorin die ausführliche Behandlung der Schemata zu den Codices von 1917 und 1983 als eine Charakteristik ihrer Arbeit bezeichnet (S. 29). Sie werden ausführlich in den Fußnoten wiedergegeben. Zurecht verweist die Autorin auf den engen Zusammenhang zwischen der Gesetzgebung über den Kirchenanwalt von 1917 und 1983. Zurecht betont sie, der CIC stelle Rahmen und Interpretationsgrundlage des geltenden Rechts dar (29). Die Neuerungen des II. Vatikanischen Konzils beschränken sich im Wesentlichen auf die Ekklesiologie und betreffen nur indirekt das Amt des Kirchenanwalts, indem sie den Inhalt des bonum publicum oder der communio, zu dessen Schutz er berufen wird, näher erklärt. Auf die Darlegung der Rolle Kirchenanwalts im Prozeßrecht des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium von 1990 wurde verzichtet und diese legitime Einschränkung von der Autorin selbst angemerkt. Die Autorin beschränkte sich weiters auf die Rolle des Kirchenanwalts auf Diözesanebene und in den exemten klerikalen Ordensinstituten. Das Recht der Römischen Kurie fand lediglich im historischen Teil zur Verdeutlichung der Entwicklung des Promotorenamts Berücksichtigung. Angesichts der Bedeutung der Päpstlichen Gerichte der Apostolischen Signatur und der Rota Romana wäre allerdings eine genauere Darlegung der von deren Eigenrecht und Rechsprechung zwar nicht unabdingbar notwendig, aber doch wünschenswert gewesen. Von der Darstellungsabsicht der Autorin leicht verständllich ist hingegen der Verzicht auf die Darlegung ähnlicher Ämter wie etwa jenes des promotor fidei im Selig- und Heiligsprechungsverfahren.

Klar aufgebaut und quellenmäßig vollständig erscheint die Darlegung der Geschichte des Promotorenamtes. Sie beginnt mit der Bestellung eines amtlichen Klägers im Inquisitionsprozeß durch Innozenz III. am IV. Laterankonzil. Als sehr nützlich erweist sich die ausführliche Wiedergabe der rechtsgeschichtlichen Quellen in den Fußnoten, welche einen ständigen Rückgriff auf die Quellen ermöglicht und den Wert der Dissertation als einer ausführlichen und historisch einwandfrei belegten Arbeit deutlich macht. Berücksichtigt wird auch die Entwicklung der Rolle des procurator Regis in Frankreich sowie der procuratores fiscales, die sich im Gegensatz zur ursprünglichen Strafverfolgung mit Straf-, Vermögens- und Steuerangelegenheiten im Dienst der Kurie beschäftigten. Die Entwicklung diese Amtes wird bis zu Papst Benedikt XIII (1724-1730) ausführlich dargestellt. Als reguläres Amt auf Diözesanebene wurde es erst am 11. Juni 1880 vorgeschrieben.

Die Darlegung der Normen des CIC 1917 erfolgt auf der Grundlage der zwölf Schemata zum Prozeßrecht wie sie von Francesco Roberti herausgegeben wurden. Die Autorin behält auch die Bezeichnung der Schemata (mit Buchstaben von A- G für die ersten neun Schemata) bei. Behandelt wird das Amt des Kirchenanwalts ausgehend von seiner Definition, den persönlichen Voraussetzungen, der Art und Weise seiner Bestellung durch den Ortsordinarius, die grundsätzliche Kompatibilität des Promotorenamtes mit jenem des Defensor vinculi sowie seine verschiedenen Aufgaben einschließlich der genauen Darlegung seiner Eingriffsmöglichkeiten im Prozeß. Bereits nach dem CIC von 1917 vertritt der Kirchenanwalt keine Privatinteressen. Seine einzigartige Stellung wird durch das Anklagemonopol bestimmt, bei dem er allerdings an die Vorentscheidung des Ordinarius gebunden ist. Im Eheprozeß übersteigen seine Rechte jene der Ehegatten und Dritter. Im ordentlichen Streitverfahren wurde seine Teilnahme besonders bei benefizialrechtlichen Streitverfahren verlangt. In exemten klerikalen Ordensgemeinschaften erstreckte sich das Klagerecht des Kirchenanwalts auf Prozesse zur Entlassung von Ordensangehörigen mit ewigen Gelübden.

Als Neuerung erfolgte im CIC 1983 die ausdrückliche Festlegung seiner parteiähnlichen Stellung. Der Kirchenanwalt gehört weiters zur Diözesankurie, wird durch den Bischof bestellt und abberufen und kann im Gegensatz zum CIC/1917 auch Laie sein. Unter eingehender Exegese der Normen des CIC/1983 erfolgen die Darlegung der Fälle seiner notwendigen Anwesenheit, die Ablegung des Amtseides und die Verpflichtung zur Einhaltung des Amtsgeheimnisses. Als Schützer des öffentlichen Wohls muß er am Strafprozeß immer und am Streitverfahren unter bestimmten Umständen beteiligt werden: 1) auf Wunsch des Diözesanbischofs; 2) wenn die Beteiligung ex lege vorgesehen ist; 3) wenn das öffentliche Wohl offensichtlich gefährdet ist. Im Gegensatz zum CIC/1917 ist seine Teilnahme außer an allen gerichtlichen Strafsachen im Ehenichtigkeitsverfahren vorgeschrieben, wenn die Nichtigkeit bereits allgemein bekannt geworden ist und keine der Parteien klagt sowie im Separationsverfahren.

Die Autorin geht auf die konkreten prozeßrechtlichen Probleme der Befangenheit sowie die Tragweite der parteiähnlichen Antrags- und Anhörungsrechte ein. Einzelne Rechte, wie jenes auf Akteneinsicht vor Aktenoffenlegung, gehen über die Rechte der Parteien hinaus. Im Verfahren zur Entlassung von Ordensangehörigen aus ihrem Institut wird der promotor iustitiae nicht mehr erwähnt, da das Ordensrecht gemäß dem neuen Kodex dem Eigenrecht unterliegt.

Die Stellung des Kirchenanwalts gleicht nicht vollständig jener der Parteien. Der Gegensatz ergibt sich aus dessen amtlichem Charakter und aus der Tatsache, daß die wesentlichsten Promotorenrechte und Promotorenpflichten über jene der Parteien hinausgehen. Signifikativ für die Aufgabe des Kirchenanwalts im neuen CIC ist seine Rolle beim Strafverfahren: er ist Kläger, jedoch nicht primär, um durch seine Anklage Verstöße gegen das öffentliche Wohl zu ahnden, sondern um die Gemeinschaft der Gläubigen zu schützen. Die Verfolgung von Strafsachen auf dem Verwaltungsweg, wie sie bei nicht dauerhaften Vergeltungsstrafen möglich ist, erfolgt ohne Mitwirkung des Kirchenanwalts. Die gesetzliche Einleitung des Ehenichtigkeitsverfahrens im Fall einer bekanntermaßen ungültigen Ehe zeigt, daß  der kirchliche Personenstand des einzelnen Gläubigen für die communio fidelium von Interesse ist. Ein Wachsen des Stellenwerts des kirchlichen Personenstandes könnte auch zu einer Neubesinnung auf die Bedeutung des Kirchenanwalts führen. Das bonum publicum, welches der Kirchenanwalt zu schützen hat, beschränkt sich auf das innerkirchliche öffentliche Wohl und schließt Streitigkeiten zwischen Staat und Kirche aus. Der Kirchenanwalt agiert im Namen der Kirche und nicht im eigenen Namen. Sein Amt gleicht nicht jenem des Ehebandverteidigers, da er im Ehenichtigkeitsprozeß als Kläger auftreten kann. Die Autorin schließt mit der Definition der Rolle des Kirchenanwalts als dem amtlich beauftragten Schützer des bonum publicum ecclesiasticum, welches letztlich im Fortbestand der substantia verbi und der substantia sacramenti besteht.

Ein ausführliches, mehrsprachiges Literaturverzeichnis, ein Personenregister sowie ein ausführliches Register der verwendeten Canones, einschließlich der Canones aus den Schemata der Vorbereitungskommission des CIC von 1983, schließt die Dissertation ab, welcher vor allem der Verdienst zukommt, die Rolle des Kirchenanwalts auf der Grundlage der Zielsetzung der Kirche und der damit zusammenhängenden Definition des Gemeinwohls im ekklesiologischen Kontext des II. Vatikanischen Konzils geklärt zu haben.



 
 
 
 
 
 
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