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Recensione: Gerhard Ebeling, Lutherstudien, Bd. II: Disputatio de homine. Teil III: Die theolo-gische Definition des Menschen: Kommentar zu These 20-40

 
 
 
Foto Stamm Heinz-Meinolf , Recensione: Gerhard Ebeling, Lutherstudien, Bd. II: Disputatio de homine. Teil III: Die theolo-gische Definition des Menschen: Kommentar zu These 20-40 , in Antonianum, 67/1 (1992) p. 151-154 .

Ebeling, der weit über seine schweizerische Heimat hinaus bekannte prote­stantische Theologe, hat es in einem dreiteiligen Monumentalwerk unternom­men, die 40 vom älteren Luther verfassten und am 14. Jan. 1536 disputierten The­sen über den Menschen (WA, Bd. XXXIX/1, 5. 175-177) zu kommentieren. Der erste 1977 erschienene Teil befasst sich mit Formalstudien zum Text und zum Traditionshintergrund. Er bietet eine gegenüber der Weimarer Ausgabe korri­gierte Textfassung. Der zweite 1982 herausgebrachte Teil stellt anhand der Thesen 1-19 die philosophische Definition des Menschen heraus. Der nun vorliegende abschliessende dritte Teil erarbeitet aufgrund der Thesen 20-40 die theologische Definition des Menschen.

Dieser letzte Teil stellt, wie Ebeling im Vorwort bemerkt, das «Telos des Ganzen» (S. V) dar. Er ist in sieben Kapitel gegliedert. Die beiden ersten: «Der Anspruch theologischer Definition (These 20)» (S. 1-83) und «Die biblische Grundgestalt theologischer Definition des Menschen (These 21-23)» (S. 84-207) greifen grundsätzliche Fragen zu einer theologischen Definition des Menschen auf und führen sie zu einer Klärung. Die nächsten beiden Kapitel: «Das Urteil über den Menschen als animal rationale (These 24-25)» (S. 208-271) und «Die pseudotheologischen Illusionen über den Menschen (These 26-31)» (S. 272-403) ziehen daraus zunächst negative Schlussfolgerungen, indem sie falsche Definitio­nen zurückweisen. Die folgenden zwei Kapitel: «Rm 3,28 als Kurzfassung der theologischen Definition (These 32-34)» (S. 404-471) und «Das Sein des Men­schen als Gottes Handeln an ihm (These 35-40)» (S. 472-544) widmen sich sodann den positiven Schlussfolgerungen und stossen zum Brennpunkt der wahren theo­logischen Definition des Menschen vor. Das mit dem Lutherwort «Lex est lux -euangelium est lux» (aus der Galaterbriefvorlesung von 1531) überschriebene Abschlusskapitel (S. 545-622) versucht, die vielfältigen vorgetragenen Einzelaspe­kte unter drei Hauptgesichtspunkten - Deus humanus, Homo theologicus, Coope-ratores Dei - zusammenzufassen und zu ordnen, um so ihre Ausstrahlungskraft auf das Ganze des christlichen Glaubens aufzuhellen. Ein ausführliches Bibelstel­len -, Personen - und Sachregister (S. 625-691) erleichtert das Auffinden von Un­tersuchungen zu Einzelfragen.

Die Lektüre dieses Kommentarwerkes verlangt vom Leser ein intensives Stu­dium. Die gedrängte Gedankenfülle, der Rückgriff auf die «konstitutive Span­nweite der historischen und der systematischen Perspektive im Umgang mit der Sache der Theologie» (S. VII) sowie die ausführliche Zitierung des, meist lateini­schen, Originaltextes der Quellen machen es dem Leser nicht leicht. Die leben­dige Darstellung - die Ausführungen sind aus den Vorlesungen an der Universität erwachsen - zieht jedoch den Leser so sehr in ihren Bann, dass er weitgehend die geistige Anstrengung, die ihm abverlangt wird, vergisst.

Es wäre vermessen, in Kürze eine Zusammenfassung dieses gewichtigen Ban­des bieten zu wollen. Lediglich einige wenige Gesichtspunkte können herausge­griffen und akzentuiert werden.

Luthers Denken, so zeigt Ebeling, ist von Grund auf antithetisch strukturiert. Die doppelte Konfrontation von Philosophie und Theologie sowie von wahrer Theologie und Pseudotheologie wird hier an einem Schnittpunkt der kontroversen Interessen, eben an der Definition des Menschen ausgefochten und führt zu der nur der wahren Theologie möglichen Erkenntnis, dass der Mensch durch Christus seinen Ort am Herzen Gottes hat. Der Weg einer derartigen Theologie ist ge­prägt durch eine entschlossene Konzentration einzig auf die Heilige Schrift, durch die Ausrichtung der gesamten Bibelinterpretation auf den Gottessohn Jesus Chri­stus, durch die Betrachtung der Schrift unter dem dominanten Thema der Sünde und durch das Dringen auf eine unerschütterliche Gewissheit im recht verstande­nen, d.h. auf Christus, der göttlichen Wahrheit, gegründeten Glauben. Während die Scholastik mit ihrer spekulativen Theologie auf einen wissenschaftstheoreti­schen Ausweis Wert legt, richtet sich Luthers praktisch orientierte Betrachtung­sweise nicht auf eine Substanz, sondern auf eine Relation, ein Geschehen: das Gegenüber von sündigem Menschen und rechtfertigendem Gott. So stehen sich die scientia der Scholastik und die fides der Theologie Luthers antithetisch gege­nüber. Der Gegensatz wird unversöhnlich im Kontrast scholastischer certitudo scientiae und lutherisch-theologischer certitudo fidei. «An dieser Stelle wird deu­tlich, wie eng die inhaltliche Neuorientierung der Theologie Luthers mit der Ver­werfung der Scholastik als ganzer zusammenhängt» (S. 60).

Bei der spezifischen Kennzeichnung des Menschen als creatura Dei kommt der universale heilsgeschichtliche Aspekt mit der persönlichen Heilsgeschichte eines jeden Menschen zur Deckung, und zwar in der Dreiheit fundamental ver­schiedener menschlicher Zustände: dem Status integritatis, dem Status corruptio-nis und dem Status regenerationis seu gratiae et gloriae, einer Dreiheit jedoch nicht des Nacheinanders, sondern im je gegenwärtigen Menschen in bestimmter Hinsicht zur Gleichzeitigkeit verwoben. Denn die Gegenwart des Menschen bleibt immer noch auf die Urgeschichte zurück- und ist immer schon auf die En­dgeschichte vorausbezogen, ist also in jedem Augenblick urgeschichtlich-eschato-logisch in beiden heilsgeschichtlichen Endpunkten verankert. Im Zentrum der Gegenwart aber steht Christus, nicht als ferne historische Figur, nicht als persona privata, nicht als ein neuer gesetzgebender Moses, kurz: nicht als einer, der pra­ktiziert wird, sondern als einer, der durch den Glauben mit und im Menschen leben will. Der Glaube darf jedoch nicht als Akzidens des Menschseins in das Ge­flecht der Seelenpotenzen eingeordnet werden, als würde er von dem bestimmt, was sich im Menschen als Heiligkeit verwirklicht, oder als würde er von der Liebe zum Leben gebracht. Vielmehr wird der Glaube letztlich von Christus bestimmt, und es ist gerade dieser Glaube, der dann die Liebe lebendig werden lässt. Der falschen fides acquisita steht die wahre fides infusa, der falschen fides charitate formata steht die wahre fides informis gegenüber. Der wahre Glaube lebt eben von der Teilhabe an Christus. «Diese Verbindung ist entscheidend für Luthers Neuorientierung der Christologie wie des Glaubensverständnisses» (S. 145-146, Fussnote 182).

Bei der Frage nach der Möglichkeit der Erfüllung göttlicher Gebote rein aus den natürlichen Kräften des Menschen weist Ebeling auf Duns Scotus hin, der zwar eine theoretische Möglichkeit gesehen, diese aber sogleich wieder abgefan­gen habe durch die Überlegung, dass Gott einer solchen Bereitschaft auf jeden

Luthers Denken, so zeigt Ebeling, ist von Grund auf antithetisch strukturiert. Die doppelte Konfrontation von Philosophie und Theologie sowie von wahrer Theologie und Pseudotheologie wird hier an einem Schnittpunkt der kontroversen Interessen, eben an der Definition des Menschen ausgefochten und führt zu der nur der wahren Theologie möglichen Erkenntnis, dass der Mensch durch Christus seinen Ort am Herzen Gottes hat. Der Weg einer derartigen Theologie ist ge­prägt durch eine entschlossene Konzentration einzig auf die Heilige Schrift, durch die Ausrichtung der gesamten Bibelinterpretation auf den Gottessohn Jesus Chri­stus, durch die Betrachtung der Schrift unter dem dominanten Thema der Sünde und durch das Dringen auf eine unerschütterliche Gewissheit im recht verstande­nen, d.h. auf Christus, der göttlichen Wahrheit, gegründeten Glauben. Während die Scholastik mit ihrer spekulativen Theologie auf einen wissenschaftstheoreti­schen Ausweis Wert legt, richtet sich Luthers praktisch orientierte Betrachtung­sweise nicht auf eine Substanz, sondern auf eine Relation, ein Geschehen: das Gegenüber von sündigem Menschen und rechtfertigendem Gott. So stehen sich die scientia der Scholastik und die fides der Theologie Luthers antithetisch gege­nüber. Der Gegensatz wird unversöhnlich im Kontrast scholastischer certitudo scientiae und lutherisch-theologischer certitudo fidei. «An dieser Stelle wird deu­tlich, wie eng die inhaltliche Neuorientierung der Theologie Luthers mit der Ver­werfung der Scholastik als ganzer zusammenhängt» (S. 60).

Bei der spezifischen Kennzeichnung des Menschen als creatura Dei kommt der universale heilsgeschichtliche Aspekt mit der persönlichen Heilsgeschichte eines jeden Menschen zur Deckung, und zwar in der Dreiheit fundamental ver­schiedener menschlicher Zustände: dem Status integritatis, dem Status corruptio-nis und dem Status regenerationis seu gratiae et gloriae, einer Dreiheit jedoch nicht des Nacheinanders, sondern im je gegenwärtigen Menschen in bestimmter Hinsicht zur Gleichzeitigkeit verwoben. Denn die Gegenwart des Menschen bleibt immer noch auf die Urgeschichte zurück- und ist immer schon auf die En­dgeschichte vorausbezogen, ist also in jedem Augenblick urgeschichtlich-eschato-logisch in beiden heilsgeschichtlichen Endpunkten verankert. Im Zentrum der Gegenwart aber steht Christus, nicht als ferne historische Figur, nicht als persona privata, nicht als ein neuer gesetzgebender Moses, kurz: nicht als einer, der pra­ktiziert wird, sondern als einer, der durch den Glauben mit und im Menschen leben will. Der Glaube darf jedoch nicht als Akzidens des Menschseins in das Ge­flecht der Seelenpotenzen eingeordnet werden, als würde er von dem bestimmt, was sich im Menschen als Heiligkeit verwirklicht, oder als würde er von der Liebe zum Leben gebracht. Vielmehr wird der Glaube letztlich von Christus bestimmt, und es ist gerade dieser Glaube, der dann die Liebe lebendig werden lässt. Der falschen fides acquisita steht die wahre fides infusa, der falschen fides charitate formata steht die wahre fides informis gegenüber. Der wahre Glaube lebt eben von der Teilhabe an Christus. «Diese Verbindung ist entscheidend für Luthers Neuorientierung der Christologie wie des Glaubensverständnisses» (S. 145-146, Fussnote 182).

Bei der Frage nach der Möglichkeit der Erfüllung göttlicher Gebote rein aus den natürlichen Kräften des Menschen weist Ebeling auf Duns Scotus hin, der zwar eine theoretische Möglichkeit gesehen, diese aber sogleich wieder abgefan­gen habe durch die Überlegung, dass Gott einer solchen Bereitschaft auf jeden

Fall durch seine Gnadeneingiessung entgegenkommen und dass sich somit doch erst gar nicht ein derartiger Akt vollkommener Gottesliebe ex puris naturalibus ereignen würde. Luther dagegen, so Ebeling, verwirft auch die theoretische Mö­glichkeit. Für ihn ist «der Gedanke eines verdienstlichen Werkes vor oder nach Empfang der Gnade schlechthin ein Wahn» (S. 311).

Luther ist nämlich schon früh von einem Heisshunger nach dem Wort der Bibel erfasst: in der festen Erwartung, nur so zum Frieden mit Gott zu gelangen, und in der klaren Gewissheit, dass die ganze Heilige Schrift als Christuszeugnis gelesen sein will und auf die fides Christi zielt, auf das Zentralgeheimnis aller Theologie, die Rechtfertigung aus dem Glauben, dass nämlich «Christus die Sünde übernimmt und seine Gnade und Gerechtigkeit schenkt» (S. 416).

Ebeling fragt abschliessend, ob dieser theologische Vorrang des Passiven, der bei Luther zu finden ist, nicht gegen die Wirklichkeit des Lebens spricht, da men­schliches Leben doch nur als aktiv gelebtes Leben ein wirkliches Leben ist. Als Antwort erinnert er daran, dass für Luther dasjenige, was den Menschen im strengsten Sinne passiv sein lässt, in Wahrheit von höchster Lebendigkeit und Aktivität ist. Ist doch der Glaube «fons omnium bonorum, allein er das opus ope-rum omnium, das primum principium bonorum operum, dasjenige, was alle guten Werke allererst gut macht» (S. 592-593). Luther versichere, die Rechtfertigung al­lein aus Glauben verhindere nicht gute Werke, vielmehr sei es gerade sie, die gute Werke erst ermögliche, gute Werke als Früchte des Glaubens, als wesensnotwen­dige Folge des Glaubens. «Der Rückschluss gilt unerbittlich: Entweder die Frü­chte oder der Glaube ist nicht recht» (S. 595).

Dieser kurze Durchblick konnte nur andeutungsweise wiedergeben, was Ebe­ling an theologischer Gesamtschau entfaltet. Die ganze Weite lutherischer Theo­logie wird von ihm berührt und erfasst, ja fast wie in einem Handbuch dargelegt. Niemand wird zögern, dem Autor Anerkennung und Dank für dieses Werk zu zollen.

Von katholischer Seite wird man zum Schluss fragen müssen, ob Ebeling mit seiner Interpretation der Gedanken Luthers diesem auch tatsächlich gerecht ge­worden ist. Nahezu jede Seite ist zu einem Drittel, häufig bis zur Hälfte mit Lu­therzitaten gefüllt. Es besteht kein Zweifel: Ebeling schwimmt nur so in diesem «Ozean» Luther. Doch stutzig macht, dass die grossen katholischen Lutherfor­scher bei der Exegese der Luthertexte kaum in Betracht gezogen werden. P. Manns wird gerade zweimal in einer Fussnote erwähnt; J. Wicks einmal; E. Iser-loh und J. E. Vercruysse keinmal. Mehr zu Wort kommt einzig O. H. Pesch, ja ihm wird - in gewisser Weise als einem Repräsentanten der gesamten katholischen Lutherforschung? - ein eigener langer Exkurs gewidmet (S. 367-376). Ebeling weiß sich einig mit ihm im ökumenischen Streben. Aber er unterstreicht sodann deu­tlich seine gänzlich anderartige Sicht und Auslegung der Aussagen Luthers. Die Feststellung Peschs: «Brechen die letzten Fragen auf, dann kann man sie nicht anders beantworten als mit Luther» (S. 375), veranlasst ihn, mit aller Schärfe zum Ausdruck zu bringen, dass auch er zwar von diesem Satz überzeugt sei, aber doch in einem zu Pesch völlig konträrem Sinne: «Zu solchem Harmonisierungsversuch kann ich nur entschieden Nein sagen, als Systematiker wie als Historiker» (S. 376).

Durch seine radikale Ablehnung der Scholastik muss Ebeling seine Luther­deutung in zur Zeit noch unüberbrückbarem Gegensatz zu der der katholischen Lutherforschung wissen. Sein Beitrag zum ökumenischen Dialog will sich deshalb auch darum bemühen, «diesen Gegensatz allererst in seiner Reinheit und befre­ienden Kraft wirklich zu verstehen» (S. 375). Darin liegt denn auch tatsächlich für den katholischen Leser der Wert des Werkes: die protestantische von kompro­missloser Verwerfung der Scholastik gekennzeichnete Exegese der Aussagen Lu­thers und die daraus für die Theologie gezogenen Folgerungen in ungeschminkter Klarheit dargelegt zu sehen. Die katholischen Theologen werden klug beraten sein, in Zukunft bei den ökumenischen Diskussionen diesem Problem ihre höch­ste Aufmerksamkeit zu schenken.

 


 



 



 
 
 
 
 
 
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