Zahner Paul ,
Recensione: MARIANO DELGADO / GOTTHARD FUCHS (Hgg.), Die Kirchenkritik der Mystiker. Prophetie aus Gotteserfahrung, Band I: Mittelalter,
in
Antonianum, 81/3 (2006) p. 577-580
.
Aus drei interdisziplinären Kolloquien zum Forschungsprojekt „Die Kirchenkritik der Mystiker – Prophetie aus Gotteserfahrung“, die in den Jahren 2001 in Wiesbaden, 2002 in Stuttgart und in Freiburg (Schweiz) stattfanden, sind bisher zwei Tagungsbände entstanden und ein dritter in Vorbereitung. Der erste hier vorliegende Band befasst sich mit mittelalterlichen Mystikern und Mystikerinnen. Eine sorgfältige, interessante und viele Aspekte umfassende Auswahl von Mystikern wurde getroffen und es konnten wirklich „beste Spezialisten aus der deutschsprachigen Mystikforschung gewonnen werden“ (7). Dieser erste Band und die folgenden Bände versuchen die „Spannung von Kirchenbindung und Kirchenkritik“ darzustellen: „Je radikaler die Gottesleidenschaft bei ihnen (den Mystikern) ist, desto schmerzhafter auch das Leiden am faktischen Christentum – mit entsprechender Kritik an kirchlichen Verhaltensweisen.“ (7)
Vom Ansatz her sehr schwierig ist die Eingrenzung und Definition des Titels der drei Bände: Was genau ist Kirchenkritik? Wer ist ein Mystiker, eine Mystikerin? Die Autoren und Autorinnen kommen in ihren Artikeln immer wieder auf diese grundlegenden Fragen zu sprechen und versuchen die Persönlichkeit, die sie beschreiben, in eine Definition von Kirchenkritik und von Mystik einzufügen. Auch die beiden Herausgeber Mariano Delgado und Gotthard Fuchs versuchen einleitend die Begriffe von Mystik und Mystiker (9-14) und Kirche / Kirchenkritik der Mystiker (14-18) zu schärfen. Dabei stellen sie ein Nebeneinander von einem weiten und einem engen Mystikbegriff fest, bezeichnen die Substantive Mystik und Mystiker als Wortschöpfungen des 17. Jahrhunderts und stellen fest, dass vor dem 17. Jahrhundert eher von mystischer Theologie gesprochen wurde (12). Dabei werden auch kurz die Ansätze von K. Rahner, A. M. Haas, B. Mc Ginn, H. U. von Balthasar besprochen (11-14). Ebenso schwierig ist die genaue Umschreibung des Begriffes der „Kirchenkritik der Mystiker“. Oft hat eher die Kirche die Mystiker kritisiert, wenn auch die Rede von einem „stets latenten Misstrauen der katholischen Kirche gegenüber der Mystik“ (15) an dieser Stelle doch etwas stark formuliert ist. Schliesslich wurden Mystiker oft auch in kirchliche Ämter berufen. Hilfreich ist die Rede vom „Paradigma der Gleichursprünglichkeit von Kirchenbindung und Kirchenkritik der Mystiker“ (16). Genau diese Einschätzung erhärtet sich bei der Lektüre dieses ersten Bandes: Missstände in der Kirche werden gerade aus Liebe zur Kirche als mystischer Wirklichkeit von den Mystikern kritisiert. Sehr passend für diesen Band zum Mittelalter wurde denn auch das Bild des Traumes von Innozenz III. in der Oberkirche San Francesco in Assisi gewählt und Franziskus so als Bild einer mystisch-konstruktiven Form von Kirchenkritik, von der das Buch vorwiegend berichtet, gewählt. Leider steht diese konstruktive Kirchenkritik oft dem entgegen, was man heute landläufig unter Kirchenkritik versteht, nämlich destruktive Kirchenkritik. Um so besser, wenn der vorliegende Band den Begriff der Kirchenkritik wieder als einen aufbauenden Begriff verwendet. Weniger reflektiert wurde in der Einleitung leider der Untertitel der drei Bände „Prophetie aus Gotteserfahrung“. Sowohl „Prophetie“ als auch „Gotteserfahrung“ sind ebenso breite und umstrittene Begriffe wie „Kirchenkritik“ und „Mystik“.
In 15 Artikeln werden dann einzelne Mystiker in ihrer Mystik und ihrer Kirchenkritik skizziert, beginnend mit Bernhard von Clairvaux, über Thomas von Aquin (J.-P. Torell), Heinrich Seuse (A. M. Haas), Gertrud von Helfa bis hin zu Jan van Ruusbroec. Dabei wird auch auf insgesamt fünf Frauengestalten oder Gruppen von Frauen eingegangen. Artikel über Mystiker von besonderem franziskanischem Interesse sollen hier nun kurz skizziert werden: Albert de Lange verneint in Valdes, die ersten Waldenser und die Mystik (53-67) die öfters gestellte Frage, ob die ersten Waldenser Mystiker waren. Ihre Kirchenkritik war eine Folge ihres apostolischen Selbstverständnisses. De Lange vertritt die Auffassung, dass die Waldenser – im Gegensatz zur franziskanischen Bewegung – die Formel „nudus nudum Christum sequi“ nicht auf sich selbst angewandt hätten und so die einzige Belegstelle für eine Christusmystik in den Schriften der Waldenser wegfalle (62-67). Der Franziskuskenner Leonhard Lehmann OFMcap bejaht in Franz von Assisi. Mystik zwischen Selbstbewusstsein und Kirchengehorsam (69-103) zuerst die Frage, ob Franziskus Mystiker war und referiert dann die besondere Kombination von Bescheidenheit und Selbstbewusstsein bei Franziskus, die ihn in tiefer Anerkennung des kirchlichen Amtes zum prophetischen Rufer und Mahner in der Kirche machte. Der Bonaventura-Spezialistin Marianne Schlosser gelingt es in ’Ad imaginem Ierusalem caelestis’ – Mystik und Kirchenkritik bei Bonaventura (123-140) die mystische Theologie Bonaventuras kurz zu umreissen und seine Kritik am Zustand der Stände der Kirche als Ausfluss seiner Kontemplation zu beschreiben. Dabei kritisiert der seraphische Lehrer auch unangebrachte Kritik an den Amtsträgern. Der Olivi-Kenner François-Xavier Putallaz beschreibt in Petrus Johannes Olivi – Verteidigung der Armen und Kritik der Kirche (205-224) Olivi als einen Kirchenkritiker, dessen manchmal scharfe Kritik aus der Armut und der Freiheit des Evangeliums heraus erwachsen. In der Frage der Stellung des Papsttums ordnet Olivi „das Urteil über die Person des Papstes dessen Haltung gegenüber den Franziskanern unter“ (219) und unterstellt damit das Amt dem Charisma. So stellt Putallaz fest: „Olivi liebt die Kirche, aber die Kirche, so wie sie sich in der Zukunft verwirklichen soll“ (222). Schliesslich verweist auch Ruedi Imbach in „Zum Heil der Welt, die übel lebt“. Dantes Kirchenkritik und ihre Bedeutung (273-283) auf franziskanische Elemente bei Dante. Dabei verfällt er allerdings – vielleicht durch Informationen aus einem Buch von Stefan Wyss, Der heilige Franziskus von Assisi. Vom Durchschauen der Dinge, Luzern 2000, das an dieser Stelle zitiert wird – auf einige Ungenauigkeiten, etwa der Übersetzung des „alter Christus“ mit „zweiter Christus“ (280), die zwar immer wieder vorgenommen wird, aber offensichtlich falsch ist. Interessant, aber sehr unsicher ist die Vermutung, dass Dante an einer Stelle auf das Testament des Franziskus anspiele und die „forma ecclesie“ Dantes der „forma sancti evangelii“ des Franziskus entspreche (281-282).
Alles in allem ist dieser erste Band der „Kirchenkritik der Mystiker“ eine sehr wertvolle Fundgrube zum Thema, aus der auf knappem Raum leicht zentrale Informationen zum Leben, zur Mystik und zur Kirchenkritik einzelner Personen gefunden werden können. Bibelstellenregister und Personenregister erleichtern dabei die Suche. Deutsch- und anderssprachigen Benutzern dienen die Zusammenfassungen in deutsch, englisch und spanisch, die am Ende jedes Artikels stehen.
|