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Recensione: CORNELIUS BOHL, Geistlicher Raum. Räumliche Sprachbilder als Träger spiritueller Erfahrung, dargestellt am Werk "De compositione" des David von Augsburg

 
 
 
Foto Wagner Maximilian , Recensione: CORNELIUS BOHL, Geistlicher Raum. Räumliche Sprachbilder als Träger spiritueller Erfahrung, dargestellt am Werk "De compositione" des David von Augsburg, in Antonianum, 76/2 (2001) p. 366-367 .

Wer heutzutage einen gotischen Dom betritt, wird zunächst von der gigantischen Höhe des Gotteshauses überwältigt und von der wunderbaren Harmonie beeindruckt sein, die diesen Kirchenraum seit Jahrhunderten erfüllt. Ähnlich mag es dem ergehen, der sich vom Noviziatsleiter der deutschen Franziskaner Cornelius Bohl in das Werk De compositione, einen mittelalterlichen Klassiker der Spiritualität, einführen lässt. Denn der süddeutsche Franziskaner des 13. Jahrhunderts David von Augsburg († 1272) hatte als Novizenmeister, geistlicher Begleiter und Schriftsteller in einem "Handbuch des geistlichen Lebens" seine spirituellen Erfahrungen in zeitlos gültige, räumliche Sprachbilder gekleidet und sozusagen als literarischer Architekt einen geistlichen Raum gestaltet, dessen Dimensionen für den heutigen Leser eine kritische Anfrage und einen hilfreichen Leitfaden für den eigenen Glaubensweg darstellen.

Die im Sommersemester 1997 an der Franziskanerhochschule Antonianum in Rom eingereichte Dissertation (vgl. Vorwort) gliedert sich in vier große Abschnitte, die übersichtlich in XII Kapitel unterteilt sind. Nach der Definition der Abkürzungen und Sigel (17-19) sowie einem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis (21-48) folgt auf die Einführung (49-53) der erste Hauptteil (55-111), in dem es um Davids Leben (I) und Werk (II) geht: Abfassungszeit, Sitz im Leben, Adressatenkreis, Gliede­rung und Stil (III). Der zweite Abschnitt (113-229) stellt das Werk De compositione in den Kontext der darin verwendeten Quellen und Traditionen der Patristik und des Mittelalters (IV), der frühfranziskanischen Bewegung (V) und seiner erfolgreichen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte (VI). Der dritte Teil (231-279) setzt beim Begriff der Erfahrung Gottes als geistliches Schmecken an (VII) und erläutert die Methode, in den Raumvorstellungen des Textes den Ausdruck geistlicher Erfahrungen zu entde­cken (VIII). Ein vierter und letzter Abschnitt (281-441) analysiert schließlich die räumlichen Sprachbilder in De compositione als Träger geistlicher Selbsterfahrung des Menschen in den drei Dimensionen: innen und außen (IX: Tiefendimension der Kör­perlichkeit); nach vorne und nach hinten (X: horizontale Dimension der Zeit) sowie oben und unten (XI: vertikale Dimension des Menschen vor Gott), die sich zum geistlichen Raum verbinden (XII).

Obwohl David „keine Persönlichkeit ersten Ranges, nicht als Theologe oder geist­licher Autor und schon gar nicht als Mystiker“ (49) darstellt und „sicher nicht zu den kreativsten und originellsten spirituellen Köpfen seiner Zeit gehörte“ (50), hat seine spirituelle Handreichung, ursprünglich für die Franziskanernovizen in Augsburg und Regensburg aufgezeichnet, eine bemerkenswerte Verbreitung selbst in Frauengemein­schaften und Laienkreisen erfahren und vielen anderen geistlichen Schriftstellern nach ihm als inspirierende Fundgrube gedient. Davids Besonderheit besteht also weniger im Inhalt seiner Ausführungen als vielmehr in seiner praktischen Darstellung und seinem pädagogischen Fingerspitzengefühl. Der Novizenspiegel De compositione ist daher nicht so sehr als frommes Lesebuch gedacht, sondern als konkreter Lebensentwurf, der zur Nachfolge einlädt. Weil David in seinem religiösen Leitfaden für Novizen immer wieder auf die großen Themen und zeitlosen Grundlagen des geistlichen Lebens zu sprechen kommt, die sich mit den Erfahrungen heutiger Menschen weitgehend decken, erlaubt der Text auch, nach seiner Bedeutung für die Gegenwart zu fragen. In Form einer „geführten Lektüre“ bietet Cornelius Bohl dem heutigen Leser eine wertvolle Verstehens- und Interpretationshilfe für das hochmittelalterliche Handbuch geistlichen Lebens an. Die in räumliche Sprachbilder eingefangene spirituelle Erfahrung selbst bildet dabei den hermeneutischen Schlüssel, das mediävale Werk in seiner aktuellen Bedeutung zu erschließen. Ausdrucksvolle Schaubilder und vom Autor selbst in mo­dernes Deutsch übertragene Zitate dokumentieren das gelungene Bemühen, eine Gleichzeitigkeit der geistlichen Erfahrungen zwischen David und dem heutigen Leser herzustellen.

David von Augsburg lebte in einer Zeit, in der in Deutschland ein neues Raumge­fühl erwachte, das noch heute die imposanten gotischen Kirchenbauten von damals bezeugen. Ebenso lädt auch sein „geistlicher Raum“, den er in seinem Werk De com­positione nachgezeichnet hat, ein, gleichsam in das Innere einer gotischen Kathedrale einzutreten und die zahlreichen (Sprach-)Bilder auf sich wirken zu lassen. Die in die­sem Buch vorliegende Doktorarbeit von Cornelius Bohl ist der geeignete „Kirchenfüh­rer“ dazu.