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Recensione: M. Perroni – E. Salmann (hrsg.), Patrimonium Fidei: traditionsgeschichtliches Verstehen am Ende?: Festschrift für Magnus Löhrer und Pius-Ramon Tragan

 
 
 
Foto Stamm Heinz-Meinolf , Recensione: M. Perroni – E. Salmann (hrsg.), Patrimonium Fidei: traditionsgeschichtliches Verstehen am Ende?: Festschrift für Magnus Löhrer und Pius-Ramon Tragan , in Antonianum, 74/2 (1999) p. 360-364 .

Zwei verdiente Professoren des Pontificium Athenaeum S. Anselmi in Rom werden mit dieser umfangreichen Festschrift zu ihrem 70. Geburtstag geehrt: der Schweizer Magnus Löhrer und der Katalane Pius-Ramon Tragan. Der erste, 1928 in Gosau geboren und 1947 in die Benediktinerabtei Einsiedeln eingetreten, dozierte von 1955 bis 1963 Dogmatik in seiner Heimatabtei und anschließend, mit einer fünfjährigen Unterbrechung, wo er als Direktor der Paulusakademie in Zürich wirkte, bis 1992 in Rom; der zweite, 1928 in Esparreguera bei Barcelona geboren und 1947 in die Benediktinerabtei Montserrat eingetreten, dozierte von 1970 bis 1972 Bibelwissenschaften an der Universität Straßburg und anschließend, unterbrochen durch eine dreijährige schwere Erkrankung, in Rom. Löhrer bekleidete von 1968 bis 1971 und von 1977 bis 1978 das Amt des Dekans der Theologischen Fakultät und von 1978 bis 1986 das des Rektors des Athenaeums. Tragan übernahm 1985 für vier Jahre das Amt des Dekans der Theologischen Fakultät und 1990 für zwei Perioden das des Rektors des Athenaeums.

Die Festschrift mit interdisziplinärem Zuschnitt steht unter dem Zentralthema des Verhältnisses von Schrift und Tradition im Verständnis des «patrimonium fidei» und ist in drei Teile eingeteilt: Überliefern - Erklären - Nachdenken. Denn, so erklärt Christoph Niemand, Linz, in seinen einleitenden Erläuterungen: Zum Anfang: Am Ende?: Gedanken zum Thema (S. 29-32): «Überliefern - kritisch erklären - nachdenkend verstehen, in diesem Rhythmus vollzog sich bisher jegliche Geisteswissenschaft, die etwas auf sich hielt. [...] Von dem, was ich in der historisch-kritischen Theologie und bei den hier zu ehrenden Lehrern gelernt habe, nehme ich als Leitspruch für wahr: Geduldiges Beobachten, sauberes Beschreiben und fleißiges Lesen lehrt zu unterscheiden zwischen der Unverfügbarkeit von Ethos und der Machbarkeit von Pathos» (S. 29 u. 32). Daraus ergibt sich als Reihenfolge der einzelnen Beiträge: I. Überliefern: A. Grundlegendes - Hermeneutiches - Meditatives: Aniceto Molinaro, Rom: L'apparizione dell'Eterno: riflessioni sulla storicità (S. 35-58); Heinrich Ott, Basel: Die kreative Kontinuität im Dialog: Bemerkungen zur Hermeneutik der christlichen Überlieferung (S. 59-80); Hans Jörg Urban, Paderborn: Die Überlieferung des «patrimonium fidei» und die Ökumene (S. 81-95); Ghislain Lafont, Rom: En attendant Jésus: simples pensées sur l'eschatologie (S. 97-110); Dietrich Wiederkehr, Luzern: Parallelen mit Querverbindungen: Wechselwirkungen zwischen Christologie und Eschatologie (S. 111-126); Marie-Louise Gubler, Luzern: Der du die Zeit in Händen hast... (S. 127-155); B. Strukturen des Überlieferns: Eine Trilogie: Elmar Salmann, Rom: Tradition als Nachlese: eine theologische Phänomenologie der Lektüre (S. 159-184); Andrea De Santis, Rom: La consegna di Dio: la tradizione fra visione sinottica e parola tramandata (S. 185-207); Pablo J. d'Ors, Madrid: Fenomenología y Teología del escribir (S. 209-244); II. Erklären: zum Verständnis biblischer und  altkirchlicher Texte: Guiu Camps, Montserrat: Ex 34,21b: échantillon d'un ancien calendrier?: essai d'approche aux origines du droit israélien antérieur à la consolidation de la royauté (S. 247-265); Armand Puig i Tàrrech, Facultat de Teologia de Catalunya: Le récit de Mt 13 (S. 267-286); Christoph Niemand, Linz: Matthäus 25,31-46 universal oder exklusiv?: Rekonstruktion der ursprünglichen Textintention im Spannungsfeld moderner Wertaxiome (S. 287-326); Martin Stowasser, Wien: Gottes Herrschaft: Überlegungen zur narrativen Soteriologie des Markusevangeliums (S. 327-364); Agustí Borrell, Facultat de Teologia de Catalunya: Gesù pastore e maestro in Mc 6,34 (S. 365-375); Damià Roure, Montserrat: The Narrative of the Syro-Phoenician Woman as Metaphorical Discourse (Mark 7,24-30) (S. 377-396); Marinella Peroni, Rom: L'annuncio pasquale alle/delle donne (Mc 16,1-8): alle origini della tradizione kerygmatica (S. 397-436); Josep Rius-Camps, Facultat de Teologia de Catalunya: Dos versiones divergentes de la llamada de los primeros discípulos (Lc 5,1-11) según D05 (d) Y P75-B03 (vg) (S. 437-453); Marie-Emile Biosmard, Jerusalem: La deuxième tentation du Christ d'après Lc 4,5-8 (S. 455-464); Emilio Rasco, Rom: Jesús y los «Buenos Modales» en un banquete, Lc 14,1-24: narración y sociología, cristología y eclesiología (S. 465-490); Giuseppe Barbaglio, Rom: Analisi formale di 1 Ts 4-5 (S. 491-504); Eduard Schweizer, Zürich: Neue Botschaft alter Traditionen: der erste Petrusbrief (S. 505-524); Jacques Schlosser, Straßburg: «Aimez la fraternité» (1 P 2,17): a propos de l'ecclésiologie de la première lettre de Pierre (S. 525-545); Jordi Sánchez Bosch, Facultat de Teologia de Catalunya: Santiago, Pedro y Pablo en las Seudoclementinas (S. 547-573); Basil Studer, Rom: Theologia - Oikonomia: zu einem traditionellen Thema in Augustins De Trinitate (S. 575-600); III. Nachdenken: Themen und Methoden der theologischen Tradition: Christian Schütz, Regensburg: Was bedeutet das Lehrer-Schüler-Verhältnis für die Theologie (S. 603-627); Alessandro Barban, Rom: La teologia tra fede, intellectus e storia: la metodologia teologica di Magnus Löhrer (S. 629-666); Maria Cristina Bartolomei, Mailand: La ragione teologica tra storia e simbolo: riflessioni a partire da Mysterium Salutis (S. 667-696); Michaela Pfeifer, Rom: Wie evangelisch sind die Evangelischen Räte?: der Stachel der historisch-kritischen Exegese im Fleisch der modernen Ordenstheologie (S. 697-727); Evangelista Vilanova, Facultat de Teologia de Catalunya: Teología y Mística: a propósito del Maestro Eckhart (S. 729-748); Benno Malfèr, Rom: Die Lehre vom Sakrament der Ehe vom Konzil von Trient bis zum II. Vatikanischen Konzil: eine Überlieferungsgeschichte? (S. 749-758); Renato De Zan, Rom: La teologia liturgico-biblica della gloria nel tempo di Pasqua (S. 759-778).

Nur auf einige wenige Artikel kann hier näher eingegangen werden. H. J. Urban greift die Frage nach der Häresie im Rahmen der Ökumene auf. Er unterscheidet die absolute Häresie, die in der Leugnung der Christuswahrheit und ihrer Geltung besteht, und die relative Häresie, die bei der ungebührlichen Privilegierung von (Teil-) Wahrheiten auf Kosten anderer vorliegt. Wer an der ersteren festhält, steht nicht mehr auf dem Boden des Christentums und damit auch nicht mehr im Raum christlicher Ökumene. Wer die zweite hält, steht zwar nicht mehr auf dem Boden der kirchlichen Gemeinschaft, wohl aber noch im Rahmen der christlichen Ökumene. Da die Kirchen heute einander allenfalls für relativ häretisch ansehen, ist der Gegenstand des ökumenischen Dialogs nicht Wahrheit und Irrtum bezüglich der Offenbarung schlechthin, sondern von Einzelsätzen innerhalb des Grundkonsenses über ihren Inhalt. Die Geschichte zeigt aber, daß die zur Abspaltung führenden relativen Häresien nicht primär auf neue gewagte theologische Vorstöße zurückzuführen sind, sondern auf in bestimmten Situationen und Kontexten gemachte Glaubenserfahrungen, die von den betreffenden Gläubigen als Ausfaltung des alten Glaubens erlebt wurden. Es kann sich zwar dabei um eine partielle Verfälschung des «patrimonium fidei» handeln, aber auch um eine Vertiefung und Bereicherung. Das als Bereicherung Erkannte müßte im ökumenischen Dialog dem «patrimonium fidei» als Ganzem wieder zur Verfügung gestellt werden. Die Enzyklika Ut unum sint fordert gerade dieses Austauschen und Lernen eindringlich mit dem Ziel der Einheit in versöhnter Verschiedenheit.

Im Dialog mit dem Judentum kommt D. Wiederkehr zu der Erkenntnis, daß die christologische Reflexion von ihren Anfängen her in einem geschichtlichen, näherhin eschatologischen Horizont steht. Noch vor der sich in Prädikaten artikulierenden neutestamentlichen Christologie stehen das Wirken, die Verkündigung und so auch die Person Jesu in einem konstitutiven Bezug zur «Basileia tou Theou», zur Gottesherrschaft. Darin sind sowohl der Gottesbezug als christologisches Thema wie die Zukunftsdynamik als eschatologische Perspektive versammelt und verbunden. Von da aus legt sich sowohl für die innerchristliche wie die religionsökumenische, vor allem aber für die christlich-jüdische Verständigung eine Korrektur nahe. Ein gemeinsamer offener eschatologischer Zukunftshorizont, als gemeinsame messianische Verheißung und Verantwortung für Juden und Christen, ist nur zu gewinnen, wenn die verkürzte und verkürzende Christologie wieder auf ihren je größeren Gottesbezug und auf den eschatologischen Horizont der ausstehenden Gottesherrschaft hin geöffnet wird.

Lesen und Schreiben, so die Erwägungen E. Salmanns, sind seit Urzeiten die zentralen Weisen des Vollzugs und der Vermittlung von Kultur und Religion. Die «Schrift» ist nicht einfach Wort Gottes und Exegese nicht schlichtweg Verkündigung und Ansage der Wahrheit. Schreiben, Schrift und Lesen sind umfangen, getragen und bestimmt vom lebendigen Ergehen des Wortes und einem freien, in unvordenkliche Geschichten verstrickten Hören, die den Betroffenen verwandeln, in eine andere Welt versetzen. Die «Schrift» ist ein offenes und befrachtetes Symbol und gibt deshalb nie Ruhe, sondern stets unerwartet zu denken, ja zu schreiben, zu leben, zu überliefern - und zu verraten. Die Mächtigkeit der «Schrift», die unser Leben liest und richtet, ihre gottesdienstliche Präsenz, ihre Vergegenwärtigung im Kerygma, all das hindert nämlich nicht, daß sie auch Objekt der Predigt, der Exegese, des Lesens, Objekt von Gebrauch und Mißbrauch menschlicher Auslegekunst und Verdrehungskunst ist. Aber gerade so ist sie Gegenwart, als Gottes geschundenes Wort, als Logos im Gewirr der Stimmen; als ob er nur so ins Auge des Lesers und ins Herz der Menschen fallen könnte.

E. Drewermann, so gibt M. Stowasser zu bedenken, habe den Exegeten vorgeworfen, sie hätten durch die historisch-kritische Exegese den biblischen Texten ihr heilsames Pontential geraubt. Demgemäß leide die kirchliche Verkündigung an einem Defizit an individueller Heilserfahrung, die es mittels tiefenpsychologischer Textauslegung zurückzugewinnen gelte. Die Befreiungstheologie Lateinamerikas habe umgekehrt der europäischen Tradition gegenüber den Vorwurf einer einseitigen Verinnerlichung und Individualisierung christlichen Heils formuliert. Theologische Begriffe wie Sünde und Heil seien stärker geschichtlich und kontextgebunden zu reflektieren und müßten dementsprechend auch in ihrer gesellschaftlichen Dimension wahrgenommen werden. Um eine Lösung für die genannten Desiderate anzubieten und die ganzheitliche Dimension christlichen Heils in den Blick zu rücken, kehrt Stowasser zu den biblischen Wurzeln zurück und richtet die Aufmerksamkeit auf den für Jesus zentralen Begriff der «Basileia tou Theou» und seine Rezeption im Markusevangelium. Will man verstehen, worin nach Markus das Heil von Gottes Herrschaft für den Menschen besteht, muß man die erzählte Welt seines Evangeliums ernst nehmen. Die narrative Entfaltung der «Basileia tou Theou» als soteriologische Grundchiffre beleuchtet die inhaltliche Seite des anbrechenden Heils. Sie beschreibt die Wende vom Unheil zum Heil schon mit dem Beginn des Wirkens Jesu; und die Wiederkunft des Menschensohnes, die für Markus mit der vollendeten Gottesherrschaft zusammenfällt, zieht die Linie in die eschatologische, definitive Dimension aus. So wird das Heil weder gänzlich ins Jenseits noch gänzlich in die Innerlichkeit des Individuums verschoben. Die Herrschaft Gottes als ein zentrales Konzept, in dem Soteriologie, Eschatologie und Christologie sich berühren, besitzt eine integrative Kraft, die unerreicht bleibt. Mit ihm vermag die von der Kritik angedeutete Schwierigkeit für die Rezeption christlicher Heilsverkündigung in der Gegenwart einer biblisch fundierten Lösung nähergebracht zu werden.

Diese kurzen und eher zufällig herausgegriffenen Hinweise müssen genügen. Sie lassen jedoch schon deutlich den Reichtum der Festschrift aufleuchten. Auch die würdige Gestaltung verdient hervorgehoben zu werden. Der Schutzumschlag bietet die Reproduktion einer Miniatur des Kirchenlehrers Anselm, Erzbischofs von Canterbury, mit seinen Schülern, entnommen dem aus dem 13. Jh. stammenden Codex Admont 289 der Stiftsbibliothek Admont in Österreich. Unterhalb der Miniatur erscheint in karlingischer Minuskelschrift der Beginn eines Schreibens des hl. Anselm: «Anshelmus indignus cantuariensis _cclesi_ episcopus· reuerend_ comitiss_ Mathild_ salutem. Placuit ...»