Stamm Heinz-Meinolf ,
Recensione: Ludwig SCHMUGGE - Patrick HERSPERGER - Béatrice WIGGENHAUSER, Die Supplikenregister der päpstlichen Pönitentiarie aus der Zeit Pius' II. (1458-1464) ,
in
Antonianum, 73/3 (1998) p. 613-615
.
Seit dem 13. Jahrhundert pflegten die Päpste von zahlreichen ihnen reservierten Zensuren nicht mehr persönlich zu absolvieren, sondern damit den Großpönitentiar zu beauftragen. Das geschah alsbald in einem solchen Umfang, daß Leo X. in der Bulle Pastoralis cura aus dem Jahre 1513 die apostolische Pönitentiarie als ein Dikasterium bezeichnete: «...in qua morum censura et animarum precipue salus vertitur» (ASV, Reg. Vat. 1200, f. 428r). Aus dem Pontifikat Pius' II. sind sechs Bände von Supplikenregistern erhalten. Es sind umfangreiche Kodizes mit einem roten Ledereinband. Einige von ihnen haben durch den Transport nach Paris unter Napoleon I. sehr gelitten. Sie tragen die Signaturen 7-11 und 13. Der letztere Band ist allerdings nicht auf Pius II. beschränkt, sondern enthält auch Register von anderen Päpsten.
Nach fünf Jahren intensiver Forschungsarbeit in den Vatikanischen Archiven konnten Schmugge, Hersperger und Wiggenhauser das Repertorium Poenitentiariae Germanicum: Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches, Bd. IV: Pius II. (1458-1464), Text bearb. von Ludwig SCHMUGGE mit Patrick HERSPERGER u. Béatrice WIGGENHAUSER, Indices bearb. von Hildegard SCHNEIDER-SCHMUGGE u. Ludwig SCHMUGGE (Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1996), herausbringen. 4.028 an Papst Pius II. gerichtete Suppliken werden darin aufgeführt. Sie umfassen einen weiten Bereich an Dispensgesuchen. Die Registratoren selbst hatten bei der Registrierung bereits folgende Unterteilung gewählt: De matrimonialibus (n. 1-821); De diversis formis (n. 822-1744); De declaratoriis (n. 1745-1845); De defectu natalium (n. 1846-2900); De uberiori (n. 2901-3108); De promotis et promovendis (n. 3109-3321); De sententiis generalibus (n. 3322-3410); De confessionalibus perpetuis (n. 3411-3971); De confessionalibus in forma «cupientes» (n. 3973-4028). Bei den Suppliken de matrimonialibus ging es um Dispensen von Ehehindernissen, wie vom unerlaubten Grad der Blutsverwandtschaft; bei den Suppliken de promotis et promovendis um Dispensen von Weihehindernissen; bei den Suppliken de defectu natalium um die Befreiung von der unehelichen Geburt; bei den Suppliken de confessionalibus um die Absolution von reservierten Sünden; bei den Suppliken de diversis formis und de declaratoriis um die Absolution von Delikten.
In dem nun hier vorliegenden Band Die Supplikenregister analysieren und kommentieren die drei Autoren das gewonnene Material. Die beiden Bände bilden somit eine Einheit. Schmugge beginnt die Analyse mit einem Durchblick durch die Geschichte der Pönitentiarie und seines Archivs (S. 4-21), mit einer Beschreibung der erhaltenen Supplikenregister aus der Zeit Pius' II. (S. 22-56) sowie mit einer statistischen Übersicht über die Gesuche und die bei der Erledigung benutzten Formelbücher (S. 57-67). In sieben Kapiteln folgt sodann die Kommentierung der einzelnen Supplikengruppen. Die Suppliken de matrimonialibus sind von Hersperger bearbeitet (S. 68-95), die de diversis formis von Wiggenhauser (S. 96-174), die de declaratoriis von Hersperger und Schmugge (S. 175-185), die de defectu natalium, necnon de uberiori von Schmugge (S. 186-195), die de promotis et promovendis von Hersperger (S. 196-206), die de confessionalibus perpetuis (S. 207-213) und die de sententiis generalibus, necnon de confessionalibus in forma «cupientes» (S. 214-217) von Wiggenhauser. In einem letzten Kapitel vergleicht Schmugge die von der Pönitentiarie erteilten Dispensen mit denen von der Kanzlei erteilten (S. 218-237). Drei Register: Archivalien (S. 256-255), Personen (S. 256-268), Orte (S. 269-273) schließen den Band ab.
Die Anfänge der Sacra Poenitentiaria Apostolica reichen bis in die Zeit Innozenz' III. (1198-1216) zurück. Seit wann das Dikasterium eigene Register für die Suppliken geführt hat, ist jedoch nicht bekannt. Die Archivbestände sind erst seit dem beginnenden 15. Jh. erhalten, und für dessen erste Hälfte sogar nur sehr fragmentarisch. Deshalb liegt die Frühgeschichte dieses Kurienamtes leider weitgehend im dunkeln. Der Aufgabenbereich der Pönitentiarie deckte ein weites Feld kirchlicher Gnadenerteilung ab. So fiel in ihre Zuständigkeit die Erteilung von Dispensen für angehende Kleriker beim Vorliegen von Weihehindernissen, wie z.B. wegen illegitimer Geburt (defectus natalium), fehlenden kanonischen Alters (defectus aetatis) oder wegen körperlicher Mängel (defectus corporis). Kleriker mußten sich grundsätzlich bei Verstößen gegen die kirchlichen Kanones, die eine Unregelmäßigkeit (irregularitas ex delicto bzw. irregularitas ex defectu) nach sich zogen, an den Papst wenden. Denn eine Irregularität zog konsequenterweise die Unfähigkeit (incapacitas) zum Empfang weiterer Weihen nach sich und - da ohne eine entsprechende materielle Basis (titulus) niemand geweiht werden durfte - auch das Verbot des Erwerbs von Seelsorgepfründen. Die Irregularität war also ein häufig anzutreffendes Hindernis für die Amtsausübung. Sie bewirkte nämlich auch noch die inhabilitas, die generelle Unfähigkeit zum weiteren Weiheempfang und Pfründenbezug sowie zum Verlust der bereis erhaltenen Pfründen. In vielen Fällen, wie etwa bei der Apostasie, konnte dieser Zustand nur durch die Absolution und Rehabilitation (rehabilitatio) überwunden werden. Wer sich unter Verschweigen eines Geburtsmakels (tacito dicto defectu) hatte weihen lassen und priesterliche Funktionen ausübte, verfiel zudem der Exkommunikation und machte sich obendrein der Irregularität aufgrund eines Deliktes (irregularitas ex delictu) schuldig, beging somit gravierende Kompetenzüberschreitungen (excessus), von denen wiederum nur die päpstliche Kurie dispensieren konnte. Laien wandten sich aus anderen Gründen mit einer Bitte um Dispens an das päpstliche Beichtamt, so etwa wenn sie trotz zu naher Verwandtschaft eine Ehe eingehen wollten oder verbotenerweise bereits eingegangen waren. Menschen aller Stände und beiderlei Geschlechts bemühten sich ferner bei der römischen Kurie um Absolution, um die Lösung vom Kirchenbann (excommunicatio), in welchen sie durch ein Vergehen automatisch (ipso facto) oder durch ausdrückliche Verhängung geraten waren und von dem sie nach der Rechtslage nur durch den Papst absolviert werden konnten. In die Kategorie der Lizenzen fallen die Fastendispensen, so etwa die sogenannten Butterbriefe, für Einzelpersonen oder ganze Städte und Dörfer, die Erlaubnis zu Kontakt mit Muslimen, wie sie etwa bei einer Pilgerfahrt nach Jerusalem notwendig werden konnte, die Genehmigung, das Kloster oder den Orden zu wechseln, u.ä. Die Pönitentiarie erteilte ferner das Recht, außerhalb des generellen Parrochialprinzips einen persönlichen Beichtvater zu haben, sie erlaubte Klerikern, das römische Brevier zu beten, sie entband Geistliche wie Laien von aufgezwungenen Eiden oder einem gegen ihren Willen verfügten Ordenseintritt, usw.
Dieser kurze Einblick muß hier genügen. Er zeigt aber bereits deutlich, welch reiches Material hier zur Verfügung gestellt wird. Den drei Autoren gebührt besonderer Dank für ihre exakten Ausführungen.
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