Stamm Heinz-Meinolf ,
Recensione: Ökumene im Kirchenrecht?: Grundlagen und Berührungspunkte evangelischen und katholischen Kirchenrechts, hrsg. von RENE PAHUD DE MORTANGES, mit Bei¬trägen von Dieter KRAUS U. Urs Josef CAVELTI ,
in
Antonianum, 73/1 (1998) p. 185-187
.
Die theologische Konvergenz zwischen den christlichen Konfessionen ist zwar schon sehr weit gediehen, aber die Umsetzung der gemeinsamen Theologie in rechtliches Zusammengehen bereitet große Schwierigkeiten. Der Hauptgrund liegt darin, daß das Kirchenrecht der einen Seite sich von dem der anderen Seite durch ein verschiedenes Selbstverständnis und einen andersartigen Rechtsbegriff unterscheidet, was zur Folge hat, daß sich die eigentlich fälligen juristischen Berührungspunkte tatsächlich nicht treffen. Dieser Umstand bewog die Schweizerische Vereinigung für Evangelisches Kirchenrecht, auf ihrer Jahrestagung 1995 in Solothurn den Stand der Dinge zu eruieren. Der vorliegende Band enthält die beiden Hauptreferate: Dieter Kraus, «Evangelisches Kirchenrecht» (S. 3-47); Urs Josef Cavelti, «Katholisches Kirchenrecht» (S. 49-73).
Auf evangelischer Seite, so legt Kraus dar, möchte man nach Möglichkeit keinen eigenen evangelischen Rechtsbegriff formulieren, sondern an einem Rechtsbegriff festhalten, der allgemein sowohl für den kirchlichen wie für den staatlichen Rechtsraum geeignet ist. Denn das fördert das Verständnis zwischen den juristischen und theologischen Disziplinen, zwischen kirchenrechtlicher Praxis, rechtstheologischer Wissenschaft und säkularer Jurisprudenz, zwischen kirchenrechtlicher und staatskirchenrechtlicher Legislatur. «Und auch aus zwischenkirchlicher, ökumenischer Perspektive führen rechtstheologische Sonderwege nicht aufeinander zu, sondern voneinander weg» (S. 6). Der evangelische Rechtsbegriff ist deshalb wie der staatliche gekennzeichnet von den Wesensmerkmalen der autoritativen Gesetztheit, der sozialen Wirksamkeit und der materialen Richtigkeit. Das Kirchenrecht hat die Aufgabe, die für das Leben der Kirche als verfaßter Institution notwendigen Regeln, Verfahren und Organe zu schaffen und der Erfüllung des der Kirche gegebenen göttlichen Auftrages zu dienen. Die kirchliche Gesetzgebung hat sich an der Schrift und am Bekenntnis als den Grundfesten der Kirche auszurichten. Das kirchliche Recht hat also bekenntnisgeprägten Charakter. Das Bekenntnis, auch in seiner je aktuellen Weiterführung, ist aber nicht Gegenstand der kirchlichen Rechtssetzung, sondern ihr maßgeblicher Bezugspunkt. Die Gesetzgebung kann keine Glaubenssätze schaffen, sondern sie nur, soweit notwendig, referieren.
Die Kirchenverfassungen bzw. die kirchlichen Grundordnungen, wie sie mancherorts auch genannt werden, bilden das grundlegende Recht. Alles weitere Recht muß sich an ihnen ausrichten. Da die Kirchenverfassungen am meisten am Bekenntnis orientiert sind, kommt ihnen eine Klammerfunktion zwischen dem Bekenntnis und dem ganzen Komplex des kirchlichen Rechtes zu. Gewisse grundlegende Inhalte des menschlichen Kirchenrechts - zu denken ist etwa an das Predigtamt, die Schlüsselgewalt, die Taufe, das Abendmahl usw., und zwar sowohl im Sinne von Auftrag der Kirche wie von Anrecht der Gläubigen - sind unverrückbar, eben iuris divini, göttlichen Rechtes, von Gott gestiftet und durch menschlichen Rechtsetzungsakt nicht wahrhaft und wirksam wandelbar. Aber diese Inhalte bedürfen der Positivierung, um anwendbares Recht zu werden. Die Inhalte des ius divinum sind somit durchaus ein der kirchlichen Gesetzgebung «aufgegebenes», nicht dagegen ein bereits rechtssatzförmig wohlfeil «vorgegebenes» Recht.
In der Schweiz ist die Kirchenverfassung näherhin zur Kirchenordnung und zum kantonalen Kirchengesetz abzugrenzen. Die Kirchenverfassung handelt dabei von der Organisation: Rechtsstatus, Mitgliedschaft, Organe, Kompetenzen, Finanzen, Rechtsschutz usw.; die Kirchenordnung vom kirchlichen Handeln: Verkündigung, Gottesdienste, Taufe, Abendmahl, Trauung, Abdankung [Trauerfeier], Unterweisung, Seelsorge, Diakonie usw.; das staatliche kantonale Kirchengesetz vom Verhältnis Staat-Kirche (in seinen Grundzügen bereits in den Kantonsverfassungen niedergelegt): Körperschaftsaufsicht, Finanzfragen, Bistumsverhältnisse, Rechtsweg zu staatlichen Gerichten usw.
Wegen der geistlich verantworteten Bindung der kirchlichen Rechtssetzung und Rechtsanwendung an die Schrift und an das Bekenntnis gilt es, bei der Verwirklichung die Rechtsbefolgung aus Überzeugung und Einsicht zu erreichen, d.h. aufgrund der sog. «inneren Wirksamkeit». Dementsprechend ist der Nichtbefol-gungsfall zuallererst als ein Fall mangelnder Überzeugung zu werten und diesem Überzeugungsmangel durch geduldige Überzeugungsarbeit abzuhelfen.
Der Ansatzpunkt für das katholische Kirchenrecht, so die Ausführungen von Cavelti, wurde vom Tridentinum formuliert: Jesus ist redemptor et Legislator, gleichzeitig Erlöser und Gesetzgeber. Damit wird angezeigt, daß die Verkündigung des Heils, d.h. das Weitertragen des Heilswerkes durch die Zeit sich durch Bekennen vollzieht, gleichzeitig aber auch bestimmter rechtlicher Formen bedarf. Der Ansatz des Kirchenrechts ist so sehr in das Heils- und Erlösungswerk verwoben, daß die Grundlegung des Kirchenrechts ausschließlich Sache der Theologie ist, näherhin der Dogmatik, der Exegese und Moral.
Mit dem Vaticanum II ist der Begriff der communio neu in den Vordergrund gerückt. Gemeint ist damit die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, die auf Erden ein sichtbares Gefüge besitzt. Es geht also auch hier um den Doppelaspekt, der in eine Einheit zu verschmelzen ist. So wird das Kirchenrecht zunehmend im Wesen und Geheimnis der Kirche selbst verankert.
Für die Entstehung eines Gesetzes sind drei Stadien maßgeblich: die Festlegung des Inhalts, der Befehl zur Ausfertigung und die Promulgation. Der Codex Iuris Canonici verfügt dazu in can. 7: «Ein Gesetz tritt ins Dasein, indem es promulgiert wird». Es muß also im Amtsblatt der Römischen Kurie offiziell bekanntgemacht werden und tritt in der Regel nach drei Monaten in Kraft. Durch die Veröffentlichung wird das Kirchenvolk zum ersten Mal mit dem Inhalt des Gesetzes konfrontiert. In keinem Stadium ist es an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt. Eine Annahme von seiner Seite ist weder konstitutiv für das Gesetz noch Voraussetzung für dessen verpflichtende Kraft. Trotzdem sind die Annahme eines Gesetzes und seine Befolgung nicht belanglos. Eine dem Gesetz entgegenstehende unvordenkliche Gewohnheit kann ein kirchliches Gesetz um seine Wirkung bringen und es faktisch aufheben (can. 28). Auch können Bischöfe, die erkennen, daß ein Gesetz auf unüberwindliche Schwierigkeiten bei der Annahme und Befolgung stoßen wird, beim Apostolischen Stuhl begründeten Einspruch erheben, mit der Folge, daß die Wirkung des Gesetzes ipso facto aufgeschoben wird. Obwohl dieses Re-raonstrationsrecht - in Übung seit Alexander III. (1159-1181) - nicht formell in den Codex aufgenommen wurde, ist es einhellige Meinung der Kanonistik, daß es weiterhin besteht.
Auf diesem von den beiden Referenten dargestellten evangelisch- und katholisch-kirchenrechtlichen Hintergrund ist nun in Zukunft zu prüfen, wieweit sich die ökumenisch wichtigen Berührungspunkte treffen können. Es geht dabei, wie aus der Diskussion erhellt, um Gemeinsamkeiten in den Grundbegriffen, um wechselseitige Anerkennung von Amtshandlungen, um Annäherung in den Mitgliedschaftsrechten (im Jahre 1992 erhob sich im Kanton Zürich gar für kurze Zeit eine politische [!] Initiative mit dem Ziel der Ermöglichung einer Doppelmitgliedschaft in beiden christlichen Kirchen), um beidseitig anerkannte Eheschließungsformen für bekenntnisverschiedene Ehen, um Gemeinsamkeiten beim Staatskirchenrecht u.a. Diese Probleme können nicht auf Anhieb gelöst werden. Sie bewußt zu machen, hat jedoch schon wesentlich eine ökumenische Dimension. Und darin liegt auch der Wert der vorliegenden Veröffentlichung: ein erster wichtiger Impuls für die Weiterführung des theologisch-ökumenischen Gespräches auf der juristischen Ebene. Nach den Theologen werden nun auch die Juristen auf den ökumenischen Plan gerufen.
|