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Foto Volgger David , Recensione: REINHARD WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum. Studien zum Verständnis und zur Funktion der Thora von Demetrios bis Pseudo-Phokylides , in Antonianum, 77/2 (2002) p. 356-360 .

Die vorliegende Untersuchung Webers geht auf einen Teil seiner Habilitationsschrift zurück, die er an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im Jahr 1990 abgeschlossen hat. Die Arbeit ist unter der Leitung von Prof. Dr.Dr. H. Stegemann angefertigt worden. Prof. Dr. G. Lüdemann und Dr. B. Schaller haben die Korreferate erstellt. Obwohl zwischen der Fertigstellung der Habilitationsschrift und dem Erscheinen der vorliegenden Untersuchung 10 Jahre vergangen sind, hat der Autor die Literatur, die inzwischen erschienen ist, umfassend mitberücksichtigt.

Die Untersuchung gliedert sich in fünf Abschnitte. In der Einführung erklärt d. A. die Relevanz des Themas `Gesetz´ für die Geschichte des Urchristentums. Weber spricht dabei vor allem die Auslegung des Gesetzesverständnisses bei Paulus an. Davon ausgehend stellt sich die Frage, welche Bedeutung das Gesetz außerhalb der paulinischen Schriften im hellenistischen Judentum besessen habe. Bevor d. A. einzelne Autoren zu diesem Thema befragt, klärt er noch die Begriffe  (hebr.) `Thora´ bzw. (griech.) `Nomos´. Beiden ist eine ganze Fülle von Bedeutungen zu eigen (als Bezeichnung für ein Einzelgesetz, für das Gesetz insgesamt, für die Schrift `Pentateuch´, usw.), dennoch habe der Begriff Thora dem Begriff Nomos ein Mehr an Weite und Sinnfülle voraus (S. 23). Am Schluß der Einführung definiert d. A. seine Methode und erläutert die Auswahl der Textbasis. Er wolle zunächst jedes behandelte Einzelwerk für sich isoliert untersuchen und erst nach und nach Gemeinsamkeiten zwischen den Werken herausstreichen. Jede Einzeluntersuchung beginnt mit den Einleitungsfragen zu Entstehung, Ort, Zeit und Adressaten des Werkes. Daran schließt die eigentliche inhaltliche Auslegung der relevanten Textabschnitte an. Die Auswahl der Texte ist im Hinblick auf das Kriterium geschehen, „ein möglichst repräsentatives Gesamtbild des in Frage stehenden geschichtlichen Phänomens“ (S. 25) zu erarbeiten. Dabei wurden die Schriften des Flavius Josephus und des Philo bewußt für eine spätere Arbeit ausgespart. „Aufgabe und Gliederung der Untersuchung fußen auf einer Synthese von chronologischen (von Demetrios als ältestem Zeugnis bis zu 4. Makkabäer als wohl jüngstem), von formgeschichtlichen (von historischen über weisheitliche bis zu religionsgeschichtlichen Werken) und von Kriterien des Umfangs und Erhaltungszustandes (von den spärlichen Fragmentistenexzerpten bis zu den schon weit umfänglicheren Schriften eines Pseudo-Aristeas, der Sapientia Salomonis, der Zwölfertestamente und des 4. Makkabäer sowie des Pseudo-Phokylides).“ (S. 27)

Nach diesen einleitenden Überlegungen untersucht d.A. in 11 Kapiteln das Konzept `Gesetz´ in zahlreichen Schriften des hellenistischen Judentums: 1. Demetrios, 2. Eupolemos, 3. Artapanos, 4. Aristeas (historicus), Theopilos, Philon „der Ältere“ (antiquus) und Kleodemos Malchas, 5. Samaritanischer Anonymos (=Pseudo-Eupolemos), 6. Aristobulos, 7. Pseudo-Aristeas, 8. Die Testamente der zwölf Patriarchen, 9. Sapientia Salomonis, 10. Das. 4. Makkabäerbuch, 11. Pseudo-Phokylides. Diese Einzeluntersuchungen stellen das Zentrum der Arbeit dar (S. 37-307). D. A. verfügt über große Sachkenntnis, die er in der Ausbreitung der schier endlosen Sekundärliteratur demonstriert. Die Fußnoten ufern dabei manchmal aus und geben oft wenig zum eigentlichen Thema her. Vielleicht wäre eine themenzentrierte und gestraffte Auswahl der Sekundärliteratur für den Leser manchmal hilfreicher.

In der Zusammenfassung gelingt es dem A., die relevanten Gesichtspunkte in den einzelnen Schriften prägnant darzustellen (S. 310-315). Demetrios z.B. hat am biblischen Text (LXX) nach der Methode der Aporiai kai Lyseis (Aporien und deren Lösungen) gearbeitet. Eupolemos stilisiert Mose als Protos Heuretes (erster Erfinder) zum Kulturheros. Die jüdische Tradition wird dabei im hellenistischen Dokumentenstil glorifiziert. Bei Artapanos wird Mose zum Theios Aner (zum göttlichen Menschen), auf den alle wesentlichen Kulturgüter der Menschheit zurückgehen. Aristobul z.B. entschärft mit Hilfe der Allegorese, die auch in der Homerexegese Anwendung findet, anthropomorphe Züge der alttestamentlichen Texte. Dies sei Zeichen für einen verstärkten Rationalisierungsprozeß in der jüdischen Religion. Für Aristobul stimmt der Nomos des Mose mit Weisheit und Vernunft überein. Die Einrichtung des Sabbat entspreche dabei der kosmischen Weltordnung und sei kein jüdisches Partikulargesetz. Auch der jüdische Kult (z. B. die Passahfeier), die religiösen Riten, die Speisegesetze entsprechen einer Rationalität, die das Weltgesetz des einen göttlichen Schöpfers in der Thora verankert sieht. In den Zwölfertestamenten dominiert ganz die Ethik. Stoische Grundsätze und alttestamentliches Weisheitsgut gehen dabei eine Synthese ein. In 4. Makkabäer deutet das Grundprinzip „Eusebes Logismos“ auf eine Harmonie zwischen vernünftiger Einsicht und heteronom gegebenen Nomos. Die hellenistischen Kardinaltugenden wie der Paideia-gedanke finden Eingang in 4. Makk. Alle Tugend strebe der höheren Physis (Natur) zu, die mit der Gottesordnung des Judentums übereinstimmt. Die Speisegesetze werden zum Natur-Gesetz, das der Vernunft entspricht, universalisiert. Die Thora enthält somit das innerste Gesetz der Welt, das jetzt schon von vernünftigen, thoragehorsamen Menschen realisiert wird.

Diese und ähnliche Beobachtungen fügt Weber zu einer abschließenden Gesamtperspektive zusammen. Den jüdischen Schriften des Hellenismus gehe es dabei vor allem um die Sicherstellung einer jüdisch-hellenistischen Identität, die in der Dialektik von Partikularismus und Universalismus Gestalt gewonnen habe. Mit dem starken Rationalisierungsprozeß der hellenistischen Welt habe sich das Judentum auf defensive und offensive Weise auseinandergesetzt und in allen Fällen die Thora als Grundurkunde des Judentums herausgestellt. Wenn Mose oder Abraham als Kulturstifter der gesamten Menschheitsgeschichte ausgegeben werden, gewinnt die einst partikulare Thora universalen Charakter. Sie steht am Anfang nicht bloß eines bestimmten Volkes, sondern der gesamten menschlichen Kultur. Zugleich finden die hellenistischen Bildungsgehalte als Teil der Thora-Tradition Beachtung. „In dem Maße, wie die Abraham-, Mose- und Thoraschüler ihre Grundanschauungen auch in Homer, Pythagoras und Platon wiedererkennen und darum die heidnischen Dichter und Philosophen als Schüler des Mose / der Thora identifizieren können, in dem Maße nehmen auch Homer, Pythagoras und Platon neben Abraham, Mose und Joseph Platz!“ (S. 319). D. A. spricht dabei von dialektischem Konvergenz- und Konvenienz-bemühen und konkretisiert dieses Phänomen an Hand der Ethisierung der Thora, wobei der Nomos zu einer Form der Tugendlehre wird. Nomos und Arete sind eng miteinander verbunden, beide öffnen sich zugleich der vernünftigen Einsicht. Diese wiederum spiegelt sich in der Natur, die eine geistige Ordnung zu erkennen gibt. Die Thora spricht aus, was im Vorbild der Natur schon enthalten ist. Damit konvergiert die Thora auf den Gedanken des Natur-, des Weltgesetzes (vgl. S. 321). Schließlich folgert d. A.: „Die Treue zur eigenen Volksüberlieferung, wie sie in der Thora kodifiziert war, ihre Bewahrung und entschlossene Verteidigung, widerspricht nicht, sondern entspricht in einem tieferen Sinne der Integration auch des der heidnischen Vernunft von sich selbst her Einleuchtenden und damit der Aufgeschlossenheit gegenüber den Traditionen der Umwelt, soweit diese der „Natur“ konvenient und von ihr hergeleitet sind, welche ihrerseits dem einen Gott ihr Dasein verdankt, der in sie sein „Gesetz“ strukturell (und vorliterarisch) eingestiftet hat und so in der menschlichen Vernunft wie in seiner Thora gleichermaßen wirkt.“ (S. 322) Mit dieser Überlegung endet die Untersuchung.

Im vierten Abschnitt der Untersuchung findet der Leser auf knapp 150 Seiten (323-460) eine Sammlung von 10 Exkursen. Neben umfangreichen Literaturnachträgen widmet sich der Autor Themen wie `Die Vielnamigkeit der Götter / des Gottes´, `Zum Problem der antiken Theokrasie´, `Zum Problemkreis Negative Theologie´. Zugleich rückt der griechisch-hellenistische Traditionsstrang verstärkt in den Vordergrund: `Zum Problem der Allegorie / Allegorese in der Antike´, `Zur Frage der sog. Kardinaltugenden´, `Zum Verständnis von Kalokagathia in Griechentum und Hellenismus´, `Zum Problem des Naturgesetzes in der Antike´. Es folgt ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 466-523). Sach- / Stichwortregister, Stellenregister und Namensregister runden die Untersuchung ab.

Ohne Zweifel hat d.A. eine informationsreiche Studie zu zahlreichen jüdisch-hellenistischen Texten aus der Zeit von ca. 300v. bis 100n. vorgelegt. Manchmal erscheint die Auflistung der Sekundärliteratur überflüssig, nicht selten verstellt sie den Blick auf die eigentliche Aussage des Textes zum Thema `Gesetz´. Daß zu den umfangreichen Fußnoten auch noch eigens 10 Exkurse angefügt werden müssen, zeigt zwar, daß d.A. in den einschlägigen Fachgebieten bewandert ist, lenkt aber vom eigentlichen Thema der Untersuchung nicht selten ab.

D.A hat versucht, das Thoraverständnis im hellenistischen Judentum in der Zeit von 300v. bis 100n. zu analysieren. Es ist legitim, zu diesem Thema lediglich griechische Quellen zu befragen (Demetrius bis Pseudo-Phokylides). Daneben kommen zumindest vom Zeitrahmen her auch noch andere Quellen in Frage, wie die hebräischen und aramäischen Texte aus Qumran oder die Texte der griechischen und römischen Autoren, die das jüdische Volk und seine Sitten beschrieben haben (vgl. die drei Bände von M. Stern). Alle diese Werke stammen aus dem in Frage kommenden Zeitabschnitt und repräsentieren eine intellektuelle Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen Vorgaben. Sowohl die Autoren als auch die Adressaten unterscheiden sich in ihren kulturellen Vorgaben, Annahmen und Kenntnissen gegenüber dem anderen. Man müßte wohl eine Skala mit ganz unterschiedlichen Werten für jeden Autor und Adressaten angeben. Die Autoren, die in der Untersuchung d.A. zu Wort kommen, stellen nur ein kleines Segment in dieser Skala dar. Meist handelt es sich dabei um Autoren, die im Fluß jüdischer Traditionen stehen und zugleich mit der hellenistischen Bildungswelt vertraut sind. Doch schon diese Gegenüberstellung von jüdischen und hellenistischen Traditionen und die Annahme, daß diese auf einen Ausgleich hinzielen, sind in sich problematisch. Das griech. Verb `hellenitsein´ heißt zuerst einmal `des Griechischen in Sprache und Schrift mächtig sein´. Diesbezüglich sind alle besprochenen Autoren von Demetrios bis Pseudo-Phokylides `Hellenisten´, aber nicht nur diese. Wenn Hellenismus als die Zeitepoche der Mischung zwischen griechischen und orientalischen Ideen verstanden wird, kommt es sehr schnell zur Abwertung dieser Epoche. Für den klassisch gesinnten Interpreten wird der Hellenismus zum Inbegriff des Abfalls des griechischen Genius, für einen `orthodoxen Juden´ kann Hellenismus nicht viel mehr als Abfall vom wahren, althergebrachten israelitischen Glauben bedeuten. Auch dieser `Abfall´ läßt sich auf einer Skala graduell darstellen. Die behandelten Autoren würden auf dieser Skala je nach Kommunikationspartner ganz unterschiedliche Positionen zugesprochen bekommen.

Diese Überlegungen zeigen, daß die Dichotomie `Hellenismus´ - `Judentum´ sowohl auf sprachlicher als auch auf ideeler Ebene unangebracht ist. Die vorgestellten Schriften sind nicht mehr fein säuberlich auf diese beiden Traditionslinien aufteilbar. Sie sind Schriften sui generis aus einer `neuen Welt´, die in eine ungeahnte Wissensflut um Weite und Unterschiedlichkeit der Welt eingetaucht ist. In der `neuen Welt´ sind die zwei alten Welten (z.B. Judentum und Griechentum) nicht mehr als getrennte Wirklichkeiten auszumachen.

Ob mit dem Konzept `Identitätssuche´ (der jüdischen Gemeinde) schon alles gesagt ist, erscheint mir zweifelhaft. Daß aber in dieser neuen Welt jede einzelne Tradition, die es bisher gegeben hat, neu bedacht werden mußte, gilt für jüdische wie griechische Traditionen gleichermaßen. Das Ergebnis dieser neuen `Rückbesinnung´ kann wiederum auf eine Skala aufgetragen werden. Als Extremwerte lassen sich ausmachen: Konservierung der alten Traditionen bzw. Auflösung differenzbildender Systemelemente. Beide Extremwerte repräsentieren aber nicht z.B. die Unterscheidung zwischen `konservativem Judentum´ und `hellenistischem Judentum´, sondern funktionieren ausschließlich in der einen neuen Welt. Man kann deshalb wohl schwerlich vom sogenannten hellenistischen Judentum sprechen, das sich der ihm fremden hellenistischen Kultur öffnet (S. 41). Das hellenistische Judentum ist eben schon hellenistisch. Die eine, neue Welt ist Vorgabe für die `Rückbesinnung´, nicht Herausforderung, auf die man reagieren kann oder nicht. Jede Reaktion, auch die Nicht-Reaktion, funktioniert im Rahmen dieser einen, neuen Welt. Von daher ist es auch problematisch, die Adressaten entweder als Juden oder als Heiden oder Proselyten zu bestimmen. Davon zu unterscheiden ist freilich die Frage, wer die schriftlichen Bearbeitungen der Traditionen materiell unterstützt hat. Nur wenn sich die Trägerkreise einer Tradition und die möglichen Sponsorkreise entweder überschneiden oder in engem Kontakt zueinander stehen, wird es zu so ausgeprägten Artikulationen von Traditionen kommen, wie wir sie in den Schriften von Demetrios bis Pseudo-Phokylides bzw. Philon und Josephus Flavius antreffen.

Wenig wahrscheinlich erscheint mir auch die Vorstellung, daß eine heidnische Rationalität zur Bearbeitung der eigenen jüdischen Traditionen herausgefordert habe (vgl. S. 322). Die eigenen Traditionen enthalten natürlich selbst schon ihre Rationalität, so daß man auf dem althergebrachten Wortlaut der Traditionen beharren kann. Nicht so sehr die Rationalität, sondern das gesteigerte Maß der Auseinandersetzung mit den Traditionen im Kontext der neuen Welt provoziert neue Aussagen, die ausschließlich im System der neuen Welt funktionieren. Auch die Ablehnung dieser sogenannten neuen Erkenntnisse bedeutet keineswegs Rückkehr in die Vergangenheit, sondern funktioniert ebenso im Rahmen der neuen Welt.

Sieht man bei der Lektüre der Untersuchung R. Webers von diesen unzureichenden Einteilungsrastern, die aus der Sekundärliteratur entnommen sind, ab, wird man mit großem Gewinn einige literarische Werke des Hellenismus verstehen und einschätzen lernen.


 
 
 
 
 
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