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Recensione: Lutz Doering, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum

 
 
 
Foto Volgger David , Recensione: Lutz Doering, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum , in Antonianum, 75/4 (2000) p. 763-767 .

Mit dieser Monographie veröffentlicht Doering seine Dissertation im Fach Neues Testament, die die die Theol. Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im Jahr 1998 angenommen hat. Das Buch enthält die Ergebnisse einer fast zehnjährigen Forschungstätigkeit. Neben Prof. B. Schaller und Prof. H. Stegemann wurden noch zahlreiche andere wissenschaftliche Größen (u.a. Prof. J.M. Baumgarten, Prof. L.H. Schiffman, Prof. E. Tov) direkt in den Forschungsdialog miteinbezogen. Der Leser darf eine kompetente Arbeit erwarten. Er wird darin auch nicht enttäuscht.

Die Untersuchung weist 11 Kapitel auf. Das erste führt in die Fragestellung ein, das letzte (11.) blickt auf die Ergebnisse des Durchgangs durch die einschlägigen Texte zurück. In Rücksicht auf die bisherige Forschungslage formuliert G. seine Grundthese, „daß die Sabbathalacha und -praxis im behandelten Zeitraum in Korrespondenz mit den jeweiligen Zeitumständen und der Gruppenzugehörigkeit der jeweils beteiligten Personen entstand sowie rezipiert, tradiert und entwickelt wurde“ (S. 13). Wenn ein Leser historisch-kritischer Untersuchungen auch kaum anderes erwartet, gewinnt diese blaß formulierte These in den folgenden Kapiteln an Farbe.

Die Sabbatpraxis in der jüdischen Militärkolonie Elephantine kann aufgrund der auswertbaren Ostraka kaum präzisiert werden. Der Wochenrhythmus des Sabbats scheint dort im 5.Jh.v. bekannt gewesen zu sein. Von einer strikten Arbeitsruhe am Sabbat wissen die Textfunde noch nichts (Kap. 2).

Der Autor bzw. Kompilator des Jubiläenbuchs nimmt zum Thema Sabbat ausdrücklich Stellung. Nach Doering habe dieser älteres (d.h. vor 170 v.) listenförmiges, halachisches Material aufgegriffen und überarbeitet. Die gesamte Komposition Jub ist vom Sabbat geprägt, der Sabbat wird als das `erste Gesetz´ bezeichnet. Der 364-Tage-Kalender (52 x 7 Tage), die Einteilung der Geschichte Israels und der Welt in Siebener-Perioden, die Verwobenheit von Israel mit der Sabbatobservanz unterstreichen die Bedeutung des Sabbats. Jub weiß nichts von einer Sabbatverdrängung. Sind die Einzelvorschriften in Jub auch noch wenig differenzierte Halacha, so kann Doering doch auf 15 Einzelverbote in Jub 2,29b.(30a) und 50,8.12 verweisen (S. 70-108). Die Beziehung dieser vier Verse zu den biblischen Büchern ist komplex. Jub verwendet die Bibel nicht als Quelle, die exegetisch auszulegen wäre. In den meisten Fällen sei jedoch ein anfänglicher biblischer Impuls auszumachen. Dies gilt freilich nur, wenn man davon ausgeht, daß die heutigen biblischen Texte zu dieser Zeit bereits als autoritative Quelle gegolten haben.

Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt bei der Auswertung der einschlägigen Texte aus Qumran (Kap. 4, S. 119-282). Textgrundlage sind der Sabbatkodex der Damaskusschrift (CDD X,14-XI,18a; XII,3b-6a) und einige Fragmente aus Höhle 4 (4Q 251,1-2; 4Q 421,11; 4Q264a,1-2 // 4Q 421,13+2+8; 4Q 265,6.7; 4Q 274,2I,2-3; 4Q 512, IV (Frg. 33+35),1-5; 4Q 513,3.4). Die Damaskusschrift bietet nach Doering 21 halachische Sabbatbestimmungen (S. 133-215), die Texte aus Höhle 4 hingegen ca. 12 (oder mehr; 224-255). Aus Textvergleichen schließt Doering, daß die Sabbathalacha in den Texten von Qumran gegenüber der von Jub. differenzierter und traditionsgeschichtlich entwickelter  sind (S. 281). Beiden Textbereichen ist ein priesterlicher Ansatz der Halacha gemein (S. 280). Gegenüber den späteren rabbinischen Texten sind die Bestimmungen in Qumran strenger. Rabbinische Prinzipien der Sabbathalacha finden sich in Qumrantexten nicht (S. 281). Für die Beziehung  zu den biblischen Texten gilt ähnliches wie für das Jub-Buch: Biblische Texte fungieren als anfängliche Impulse, mitunter finden sich sprachliche `Rückverweise´ auf die hebr. Bibel. Auch prophetische Schriften (besonders Jes 58,13) werden in die Sabbatdiskussion miteinbezogen.

Im 5. Kap. untersucht Doering Sabbat und Sabbathalacha in der jüdischen Diaspora der hellenistisch-frührömischen Zeit. Der Papyrus PCZ 59762 (Mitte 3.Jh.v.) aus dem mittelägyptischen Philadelphia scheint zu belegen, daß „Juden in der ägyptischen Diaspora der ptolemäischen Zeit gegenüber ihren Vorgesetzten das Arbeitsverbot am Sabbat geltend machen konnten“ (S. 383). Sabbatbeobachtung in frührömischer Zeit läßt sich für Kleinasien, Rom, Ägypten und Syrien belegen. Das bestätigen die offiziellen Akten, die in die Schriften von Philo und Josephus eingefügt sind. Ebenso setzen die Texte des Toraauslegers und Philosophen Aristobul (180-145v.) Arbeitsruche am Sabbat voraus. Zusätzlich unterstreicht Aristobul den universalen Charakter des 7. Tages. Pythagoräische Zahlenspekulationen über den 7. und 1. Tag und stoische Kosmologie stehen im Hintergrund dieser Exegese des jüdisch-hellenistischen `way of life´.

Die Schriften des Juden Philon von Alexandria lassen zum Thema Sabbat folgendes Bild erkennen: „Philon vertritt ... einen Universalismus, der die kosmische Verankerung des Sabbats aufzeigt, an der partikular-jüdischen Sabbathalacha und -praxis festhält und mit der vorläufigen nichtjüdischen Sabbatbeobachtung die Erwartung endzeitlicher Annahme der Sabbatfeier durch die nichtjüdische Welt verbindet“ (S. 372-3). Den halachischen Befund in Philos Schriften faßt Doering in 13 Punkten zusammen (S. 328-366). Darin lassen sich prototannaitische bzw. pharisäische Traditionen ebenso ausmachen wie (proto-)essenische. Zudem ist mit Lokalkolorit der Sabbathalacha bei den alexandrinischen Juden zu rechnen (S. 385).

Ein anderes Bild bieten einige aramäische Ostraka aus Palästina (1.H. 1.Jh.n.). Der jüdische Schreiber dieser Kleinfunde geht auch am Sabbat seiner Beschäftigung nach (Kap. 6).

Einen weiteren Schwerpunkt dieser Studie bildet die Untersuchung der Sabbat-Texte im NT (S. 398-478; Kap. 7). Das Interesse liegt dabei auf Jesus und seinem Sabbatverständnis (Mk 2,23-28 parr; 3,1-6 parr, Lk 13,10-17; 14,1-6; 6,5; Joh 5,1-47; 7,15-24; 9,1-41). Von daher wird verständlich, daß Texte wie Gal 4,8-11, Röm 14,5f und Kol 2,16-23 nur am Rande behandelt werden (S. 403-405). Jesus habe den Sabbat nicht primär durch die Regulierung der Arbeitsruhe, sondern durch die Gottesherrschaft bestimmt. Abgesehen vom sabbatlichen Heilen ist Jesus wohl einer im Volk beobachteten Sabbathalacha gefolgt (S. 477). Die Ausformulierung des Christuskerygmas und die Öffnung zur Heidenmission haben eine weitere Schwächung der Bedeutung des Gesetzes bewirkt (S. 477).

In den Schriften des Fl. Josephus (Kap. 8) ist der Sabbat ein Nebenthema. Josephus unterstreicht in seinen Spätschriften die Sabbatobservanz als wichtiges Einzelgesetz des Judentums.

Im 9. Kapitel sucht Doering noch auf die Sabbathalacha und -praxis von Pharisäern, Sadduzäern und frühen Tannaiten einzugehen. Aus zwei Gründen versteht der Autor diesen Abschnitt seiner Untersuchung als Problemanzeige: Einerseits bieten das NT und die Schriften des Josephus kaum Hinweise auf gruppenspezifische Differenzen der Sabbathalacha. Andererseits können die Tradenten der rabbinischen Schriften nicht ohne weiteres als Nachfolger der Pharisäer des 1.Jh.v. verstanden werden.

Das 10. Kapitel thematisiert noch die Stellung des antiken Judentums zum Kriegführen am Sabbat. Ein Durchgang durch die verschiedenen einschlägigen Texte aus dem 2.Jh.v. bis in die rabb. Zeit rundet die Untersuchung ab. Es folgen ein Schlußkapitel (Verhältnisbestimmung - Folgerungen - Ausblick), einige Tabellen (S. 581-587), ein umfangreiches und übersichtliches Literaturverzeichnis (S. 589-639), ein Stellenregister (S. 641-662), ein Autorenregister (S. 663-671) und ein detailliertes Namen- und Sachregister (S. 672-678).

Die umfangreiche Untersuchung Doerings zeichnet sich u.a. dadurch aus, daß sie einen größeren Zeitraum (ca. 4. Jh.v. - 2.Jh.n.) in den Blick nimmt. Konsequenz davon ist die Präsentation einer fast unübersehbaren Datenfülle. Von besonderem Wert sind die klaren Forschungsüberblicke zu den einzelnen Kapiteln. An manchen Stellen der Untersuchung beschränkt sich Doering darauf, verschiedene Forschungspositionen darzustellen, miteinander zu vergleichen und abzuwägen. Der Autor kommt zu nachvollziehbaren Urteilen und vermeidet Extrempositionen.

Problematisch bleiben die Folgerungen, die eine Entwicklungslinie der Sabbatfrage aufzeigen wollen. Stellt die Herausbildung umfassender und verpflichtender Sabbathalacha nicht erst eine Reaktion auf die Antiochus-Zeit dar (S. 574), so kann dieser Vorgang wohl kaum für den Zeitraum zwischen Nehemia und den halachischen Listen aus dem Jub-Buch behauptet werden. Die einschlägigen Textkomplexe in Neh, Elephantine und Jub unterstreichen eine Vielfalt der Sabbathalacha und -praxis, die für die `nachexilische´ Zeit bis zumindest in das 1.Jh.n. typisch ist. Verschiedene historische Umstände scheinen das Sabbatverständnis je neu beeinflußt zu haben: Wirtschaftliche Überlegungen, jüdische Letztverantwortung in politisch-militärischen Projekten, Zugehörigkeit zu einer jüdischen Elite, die untereinander bereits ein unterschiedliches Sabbatverständnis widerspiegelt, usw. Diese und ähnliche Faktoren haben wohl zu jeder Zeit neu die Konzeption gesellschaftlich-religiöser Einrichtungen beeinflußt. Davon zu unterscheiden sind wiederum Vorstellungen, Pläne und Wünsche einzelner Menschen oder Gruppierungen bezüglich des Sabbats. Praxis und angezielte Vorschriften können dabei sehr weit auseinandergehen. Manchmal vermißt man in der Untersuchtung Doerings eine historische Einschätzung der Sabbatpraxis [vgl. dazu aber S. 578 (1)]. Wenn auch die Texte dazu nur sehr spärlich Auskunft geben, wünscht sich ein historisch interessierter Leser zumindest eine Annäherung an die Frage, ob z.B. das Jub-Buch lediglich die Schrift eines kleinen Zirkels war oder ob doch weite Kreise des jüdischen Volkes diesen dort vorgeschriebenen Bräuchen angehangen ist.

Die ersten wichtigen Textkomplexe zum Sabbat geben vor, das Sabbatverständnis zumindest teilweise korrigierend beeinflussen zu wollen. Das bedeutet, daß der Sabbat als Institution Bestand hatte, seine konkrete Gestalt aber beeinflußbar war. Ist in diesem Kontext ein Entwicklungsmodell von einer rudimentären Sabbathalacha zu einer komplexen, ausgefeilten noch zutreffend?

Zudem favorisiert ein Entwicklungsmodell die Annahme, es gebe so etwas wie eine historisch überdauernde Gruppenidentität. Doering weist darauf hin, daß die rabbinische Tradition nicht ohne weiteres auf pharisäische Vorläufer ausgezogen werden darf, so daß die Rabbinen als historische Fortsetzung der Pharisäer gelten. Dem ist zuzustimmen. Warum sollte dies aber nicht auch für die Pharisäer des späten 2.Jh.v. und des späten 1.Jh.v. gelten. Historisch überdauernde Gruppenidentität auf Grund eines `Programms´ kann für das antike Judentum wohl kaum in jedem Fall vorausgesetzt werden. Daß Josephus dies z.B. dennoch tut, muß noch nichts heißen; es kann sich lediglich um eine heuristische Strategie eines jüdischen Historiographen handeln, dessen historischer Wert erst noch überprüft werden muß.

Für das Verständnis der einschlägigen Textabschnitte bildet das Werk Doerings einen wertvollen Forschungsbeitrag. Es ist dem Autor gelungen, ein komplexes Thema in einer sprachlich ansprechenden Weise darzustellen. Die gute Endredaktionsgliederung und die zahlreichen Register erleichtern den Zugang zu dieser umfangreichen  Monographie. Man kann Lutz Doering zu seinem Projekt `S(ch)abbat´ nur gratulieren und ihm ein Moment Arbeitsruhe wünschen.

 



 
 
 
 
 
 
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